16. Mai 2011
Allgemein
Interview: Kai Dolgner MdL zur Vorratsdatenspeicherung
- Kai Dolgner
Schon vor einiger Zeit äußerte sich Dr. Kai Dolgner MdL (SPD) zur Vorratsdatenspeicherung. Kai Dolgner ist Mitglied im Innen- und Rechtsausschuss des Kieler Landtages und Vorsitzender des Arbeitskreises Innen, Recht, Kommunales und Gleichstellung. Ich hab mit ihm darüber gesprochen, wie er Sigmar Gabriels Äußerungen zur Vorratsdatenspeicherung aufgenommen hat und wie er die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung in der SPD aber auch generell wahrnimmt.
Sigmar Gabriel hat vor ein paar Tagen erklärt dass die SPD die Vorratsdatenspeicherung will. War Dir das klar, dass die Partei das will oder warst Du auch so überrascht, wie die meisten sozialdemokratischen NetzpolitikerInnen?
Überrascht ist nicht der richtige Ausdruck, entsetzt trifft es schon eher. Ich hatte zumindest die Hoffnung, dass wir die Atempause durch das Verfassungsgerichtsurteil und die Überarbeitung der EU-Richtlinie nutzen, um eine gemeinsame Position zu entwickeln. Das Urteil war doch auch eine Klatsche für die SPD-Netzpolitik. Da kann man doch nicht so tun, als ob nichts gewesen wäre und in alte, unreflektierte Forderungen verfallen.
Wo siehst Du die Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung in der SPD? Wer vertritt da was? Und warum?
Mir ist die Diskussion immer noch zu unstrukturiert und es wird zu wenig miteinander gesprochen. Beide Seiten machen es sich manchmal auch ein wenig einfach: Viele Innenpolitiker/innen neigen dazu, jeden Grundrechtseingriff mit den Erfordernissen einer modernen Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zu rechtfertigen, egal wie mager der tatsächliche Nutzen ist. Viele Netzpolitiker/innen betonen ausschließlich die Freiheit des Netzes und viele Probleme der wirksamen Strafverfolgung ausblenden. Als netzaffiner Innenpolitiker steht man da häufig dazwischen. Am ärgerlichsten ist aber, dass es weite Teile der Partei nicht zu interessieren scheint, obwohl fast die komplette Bevölkerung betroffen ist.
Muss man nicht Verständnis für die Regierung haben? Die EU-Richtlinie muss ja eigentlich umgesetzt werden, wenn man nicht in Zukunft auch anderen Ländern Extrawürste zugestehen will. Andererseits kann die FDP, wenn sie nicht auch noch ihren Ruf als Partei bürgerlicher Freiheiten einbüßen will, nicht zulassen, dass im großen Umfang Unverdächtige überwacht werden. Wo ist der Ausweg?
Ach, Extrawürste in der EU sind ziemlich normal, ich erspare mir die Aufzählung. Es ist übrigens in der Politik häufig so, dass der konkrete Handlungsspielraum durch einen übergeordneten Rechtsrahmen begrenzt ist. Als Landespolitiker kann ich zum Beispiel nicht das Kommunalwahlrecht für alle hier lebenden Ausländer einführen, weil dafür das Grundgesetz geändert werden müsste. Das hindert mich aber nicht daran, an der langfristigen Forderung festzuhalten und dafür zu kämpfen.
Falls Schwarz-Gelb wirklich gegen den Inhalt der EU-Richtlinie wäre, so würden sie sowohl den zeitlichen Rahmen als auch den Ermessensrahmen möglichst weit ausnutzen. Im Übrigen wurde in Tschechien die Vorratsdatenspeicherung auch vom Gericht gekippt, Schweden und Österreich verweigern die Einführung. Wenn sich jetzt die Deutsche Regierung als Vertreter des größten Mitgliedstaates auch verweigern würde, wäre doch wohl eher die Richtlinie Geschichte oder?
Die diversen Defizitverfahren seit 2003 haben doch gezeigt, dass es da Spielräume gibt, wenn der politische Wille zur Veränderung da ist. Den sehe ich aber bei der Vorratsdatenspeicherung auch (noch) nicht in unserer Partei.
Brauchen wir Vorratsdatenspeicherung die zur Terrorabwehr oder gar gegen Raubkopien?
Mir ist der Begriff "Vorratsdatenspeicherung" zu pauschal. Genauso wie Quick-Freeze usw. Was bedeutet das konkret? Gerade bei den sogenannten "Sicherheitsgesetzen" werden immer ganze Kataloge mit Maßnahmen völlig unterschiedlicher Qualität beschlossen.
Wenn ich den Inhalt eines Gespräches aufzeichne, sind wir in einer ganz anderen Liga, als wenn ich zum Beispiel anhand eines Nummernschildes einen Temposünder identifiziere. Die Wohnraumüberwachung zur Ermittlung eines Tempossünders würde zum Glück kein Richter genehmigen. Jede einzelne Maßnahme müsste auf Eignung und Erforderlichkeit geprüft und mit der Schwere des Grundrechtseingriffes abgewogen werden. Hierbei ist übrigens derjenige, der die Maßnahme zu Lasten der Grundrechte einführen will, den Nachweis der Verhältnismäßigkeit schuldig! Das wird in der Diskussion häufig auch verdreht. Wie hätten denn die biometrische deutsche Reisepässe die Anschläge vom 11. September 2001 verhindern sollen? Alle Terroristen hatten ihre Tickets mit ihrem richtigen Namen gebucht und es war auch keiner Deutscher.
Zurück zur Frage: Eine IP-Speicherung würde in der Mehrzahl der Fälle tatsächlich helfen und stellt auch keinen tiefen Grundrechtseingriff dar.Die Zuordnung der Fahrzeughalter zu den Nummernschilder oder der Telefonnummer zum Anschlussinhaber werden auch verdachtsunabhängig gespeichert. Die Ermittlung des Anschlussinhabers aus der IP-Nummer dürfte allerdings nur bei der Verfolgung von schweren Straftaten erfolgen und bestimmt nicht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wie z.B. aus dem Urheberecht.
Für viel bedenklicher halte ich es allerdings, wenn verdachtsunabhängig von jedem Bürger gespeichert wird, wer mit wem wann telefoniert hat, E-Mails geschickt hat etc. Das darf nur bei einem konkreten Verdacht und nach richterlicher Kontrolle erfolgen. Damit fällt dieses als Teil einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für mich aus.
Bei den mir bekannten Fällen im Bereich des Extremismus und der Terrorabwehr waren die Personen übrigens vorher als verdächtig aufgefallen. Die darf man gerne gezielt überwachen, nach einer entsprechenden richterlichen bzw. parlmentarischen Überprüfung. Das hat dann aber mit der VdS nicht viel zu tun. Das war schon vor der Vorratsdatenspeicherung möglich und ist es auch nach dem vorläufigen Ende der Vorratsdatenspeicherung. Auch hier vermisse ich eine gewisse Ehrlichkeit in der Diskussion.
Zu den restlichen Detailfragen möchte ich erst einmal keine Stellung nehmen, das ist recht komplex und müsste mit der gebotenen Ruhe und Ernsthaftigkeit zwischen den Experten beraten werden.