20. November 2013
Buchtipp
Gelesen: „Arbeitsfrei“ – Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen
- Constanze Kurz, Frank Rieger — „Arbeitsfrei — Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen“
Kann ein erwachsener Mensch Gefallen daran haben, mit einem Bagger zehn Minuten lang Erde von einem Häufchen zum anderen – und zurück – zu schaufeln? Offensichtlich ja, denn Baggerfahren zählt zu den beliebtesten und populärsten Offsite-Zielen deutscher Unternehmen. Reihen von blassen, von Neonlicht leicht bläulichen Büroangestellten haben Spaß daran – und werden dies auch in Zukunft haben –, mit einer Baggerschaufel in der Erde zu wühlen. Und tatsächlich bekommt der Mensch als Spezies immer seltener die Gelegenheit dazu, an verschiedenen Bereichen der Produktion, psychisch oder geistig, teilzunehmen. Dies haben die beiden Sprecher des Chaos Computer Club, Constanze Kurz und Frank Rieger, auf ihrer „Reise zu den Maschinen und zu den verschiedenen Orten, an denen unser Brot entsteht, zu den Labors und Fabriken, in denen an der Zukunft unserer Arbeitswelt geforscht und gebaut wird“, beobachtet.
„In grauer Vorzeit war jedem Menschen sowohl die Funktion als auch die Struktur seiner Werkzeuge, also von Hammer, Pfeil und Bogen bekannt.“ — Stanislaw Lem in „Summa Technolgiae“
Wegrationalisiert wurden bisher schon Tätigkeiten, bei denen Menschen Maschinen überwachen und direkt steuern, stellten die Autoren beim Besuch einer modernen Mühle – heute einer vollautomatisierten Mühlfabrik – fest. In einer Druckerei wurde die Arbeit der noch wenigen verbliebenen Menschen nur dort nicht automatisiert, wo „die entsprechenden Maschinen im Vergleich zum niedrigen Stundenlohn noch nicht rentabel sind oder wo die Programmierung und Umstellung nicht lohnen würde“. Und bei der Produktion von Mähdreschern erweist sich der Mensch doch noch bei einigen wenigen Arbeiten als „deutlich flexibler und schneller. Er überblickt nötige Feinarbeiten mit geschultem Blick und hat die Sensorik dafür als Homo sapiens bekanntlich bereits eingebaut“.
Automatisierungspotenziale entstehen aber nicht nur dort, wo die körperliche Arbeit des Menschen durch Maschinen ersetzt wird. Zunehmend betrifft es die Bereiche, in welchen der Mensch hauptsächlich noch die Rolle eines „menschenkompatiblen Interface“ zu einer im Hintergrund steuernden Software ist, wie in den Callcentern, Bankfilialen, aber auch zunehmend im Rechtsbereich und in Diagnosebereichen der Krankenhäuser. Aufgrund der zunehmende Menge an Datenmaterial, das heute ganz nebenbei erfasst wird, beispielsweise im Bereich der Kranken- und Altenpflege, lassen sich künftig Prozesse wie Steuerung, Planung und Management ebenfalls mithilfe geeigneter Algorithmen und Software automatisieren.
Diese „Automatisierung des Geistes“, so die Autoren, „die Ablösung menschlicher Hirntätigkeiten“ hat das Potenzial, die Arbeitswelt noch stärker zu beeinflussen, als die bisherige Automatisierung und Robotisierung der Produktion. Die Veränderungen sind auch eher kurz- bis mittelfristig zu erwarten, denn dieser Prozess hat bisher weitgehend unbeachtet in der Öffentlichkeit stattgefunden. Auf eine genaue Nachfrage aus der Leserschaft gaben die Autoren auf der Frankfurter Buchmesse wenige Jahre als Perspektive für die Automatisierungswelle, in welcher es zum Ersatz vieler geistiger Tätigkeiten durch Software und Algorithmen kommt, an.
Und tatsächlich, dieser Prozess hat bereits vor Langem begonnen, wie es sich am Beispiel einer Bankfiliale plastisch erklären lässt. Innerhalb weniger Jahre ist die Begegnung mit einem Bankmitarbeiter zu einem Atavismus geworden, die Bankgeschäfte werden fast nur noch online abgewickelt. Oder der Kunde kommuniziert mit einer Maschine: einem Einzahlungens-/Auszahlungsautomaten, einem Auszugsdrucker, einem Gerät zur Erfassung von Überweisungen etc. Auch bei einem Besuch der Bankfiliale und einem persönlichen Beratungsgespräch wird schnell klar, dass der Bankmitarbeiter keine echte Entscheidungsgewalt mehr hat, sondern lediglich die Bewertungen und Ergebnisse der Software (wie beispielsweise eine Kreditablehnung) schonend dem Kunden beizubringen hat.
Nicht nur Kredit- und Investitionsentscheidungen werden von Algorithmen vorbereitet. Es gibt inzwischen Bereiche, in welchen die Ingerention eines Menschen ineffizient oder gar unerwünscht ist, wie beispielsweis im Hochfrequenzhandel, bei welchem im Hinblick auf die zu verarbeitenden Datenmengen und die Geschwindigkeit der Verarbeitung der Mensch der Maschine gar keine Konkurrenz bieten kann.
Der Rückzug des Menschen aus den Produktions- und Denkprozessen, aber auch aus der Steuerung, Planung und Entscheidungsfindung etc. wird „profunde Auswirkungen auf die Struktur unserer Sozialsysteme und das Machtgefüge von Wirtschaft und Gesellschaft haben“, so Kurz und Rieger. Konkret würde sich das Machtgefüge in der Wirtschaft zu den Besitzern von Kapital – „dem ultimativen Produktionsmittel“ – verschieben und viele der heutigen Konzepte zur Wohlstandsverteilung und Gerechtigkeit überflüssig machen. Deswegen sollte man – auch bei gesellschaftlichen Idealen und Leitbildern – grundlegende Veränderungen ins Auge fassen. „Die derzeitige Leistungsideologie, die impliziert, dass jemand, dessen Job wegfällt, selbst schuld daran ist, weil er sich nicht rechtzeitig an die technologiebedingt geänderten Arbeitsmarktumstände angepasst hat, sollte […] grundlegend revidiert werden“, fordern die Autoren. Denn sowohl das heutige Umlageprinzip bei der Finanzierung der Arbeitslosigkeit durch diejenigen, die „noch in Lohn und Brot stehen“ als auch Finanzierung des Gemeinwesens aus Löhnen, Gehältern,
Mehrwert- und anderen Konsumsteuern wird nicht mehr haltbar sein, wenn nicht der Mensch, sondern die Maschine zum wesentlichen Treiber der Produktion absolviert. Welche Form der Umverteilung der Automatisierungsdividende in der Gesellschaft dann konkret stattfindet, ob durch Grundeinkommen, Mindestlöhne, Förderung von Teilzeitarbeit oder eine zeitliche und finanzielle Ausweitung der Zahlungen bei Arbeitslosigkeit „ist selbstverständlich eine politische Entscheidung“. Wobei die Autoren besonders viel Hoffnung auf die Gewerkschaften und Sozialdemokratie legen: „Es kann vermutlich nur mit ihrer Hilfe gelingen, gesellschaftliche und soziale Strukturen zu schaffen, die es erlauben, Automatisierung und algorithmische Optimierung nicht nur einseitig unter dem Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung und Profitmaximierung zu sehen, sondern als fortlaufenden Prozess, der das Leben aller besser, schöner und reicher machen kann.“ Eine wichtige Aufgabe für die Gewerkschaften und Sozialdemokraten – aber auch eine große Herausforderung. Denn bisher hat ihre Sehnsucht nach den „paradiesischen Zuständen des rheinischen Kapitalismus“ die Diskussion lediglich erschwert. Dabei greift die „kapitalistisch-egoistische Betrachtungsweise“ nach Ansicht der Autoren viel zu kurz, und auf die unsichtbare selbstregulierende Hand in der Wirtschaft sollten wir uns bei diesen wichtigen Entwicklungen nicht alleine verlassen. „Die Frage, wie die Früchte dieser Entwicklung verteilt werden, ob wir es schaffen, sie für eine bessere, gerechtere und lebenswerte Gesellschaft einzusetzen, oder zulassen, dass Macht und Geld weiter in den Händen weniger konzentriert werden, ist eine der Kernfragen unserer Zeit“, pointieren die Autoren.
Ein Kommentar
[…] Internet und Robotik, die die erhoffte Veränderung verheißen — Die „Maschinen, die uns ersetzen“, wie etwa ein vor kurzem dazu erschienenes Buch deutlich machen wollte. Diese […]