10. Dezember 2013
Bundespolitik
Vorratsdatenspeicherung: Der Denkfehler der Befürworter
- Sigmar Gabriel | Bestimmte Rechte vorbehalten von SPD-Schleswig-Holstein
In den letzten Wochen macht der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel immer wieder Schlagzeilen mit der Forderung nach der Vorratsdatenspeicherung. Nicht zuletzt steht sie wieder im Vertrag der großen Koalition. Heute nun gab es mal wieder Gegenwind für Sigmar Gabriel: Über 560 internationale Schriftstellerinnen und Schriftsteller haben sich gegen die globale Überwachung gewandt. Gabriel hat das auf Facebook unterstützt – und Spott für den geistigen Spagat geerntet. Viele der bisher über 850 Kommentare unter dem Beitrag kritisierten, dass er auf der einen Seite gegen die Überwachung aus den USA wäre und auf der anderen Seite die Vorratsdatenspeicherung fordere.
Sigmar Gabriel schrieb auf Facebook:
„Das ist eine wunderbare und beeindruckende Aktion. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich Intellektuelle jemals global in dieser Form zusammengeschlossen haben. Der Kampf um bürgerliche Freiheiten hat einst national begonnen, jetzt findet er erstmals international gemeinsam statt. Ein tolles Zeichen! Ich werde die deutschen Unterzeichnerinnen und Unterzeichner Anfang des Jahres zu einem Gespräch einladen. Ein solcher Aufruf darf in der Politik nicht ungehört bleiben!“
Nach hunderten Kommentare meldet sich Sigmar Gabriel sechs Stunden später erneut zu Wort und verteidigte die offizielle SPD-Position:
„Das von einem SPD-Parteitag beschlossene Konzept zur Vorratsdatenspeicherung sieht vor, dass bei einem Verdacht auf schwere Straftaten von einem Richter entschieden werden kann, dass auf bei den Providern gespeicherte Daten zugegriffen werden kann. Wir wollen mehr, als das Bundesverfassungsgericht für eine grundrechtskonforme Umsetzung der EU-Richtlinie vorgegeben hat. Vor allem eine deutlich kürzere Speicherfrist – so haben wir das auch im Koalitionsvertrag durchgesetzt. Die Praxis der NSA und anderer Geheimdienste sieht so aus, dass flächendeckend sämtliche Kommunikationsvorgänge erfasst und gespeichert werden – ohne Verdacht auf eine schwere Straftat, ohne Richtervorbehalt, offensichtlich sogar ohne Rechtsgrundlage. Wer die NSA-Praxis mit der Vorratsdatenspeicherung im oben beschriebenen Sinne gleichsetzt, verniedlicht das, was Geheimdienste gegenwärtig treiben.“
Ich halte das nicht für Heuchelei – Es ist der übliche Denkfehler der Befürworter der Vorratsdatenspeicherung: „Wenn die Daten nicht vom Staat sondern von privaten Firmen gespeichert werden, ist es keine Überwachung. Denn die Polizei darf nur nach richterlicher Anordnung darauf zugreifen.“ Natürlich ist eine richterliche Anordnung eine Hürde. Es können keine gelangweilten oder neugierigen Polizisten in den Daten stöbern. Die müssen sich plausible Gründe überlegen, zur Staatsanwaltschaft gehen und die überzeugen und die muss dann die Richterin überzeugen. Wenn man ausschließlich aus der Perspektive des Staates, des Politikers oder der Politikerin darauf schaut, dann kann der Staat tatsächlich relativ wenig und das auch nur relativ schwierig erfahren. In den USA müssen entsprechenden Maßnahmen aber auch erst vom FISA-Court genehmigt werden. Insofern ist der Zugriff auf die Daten ähnlich geregelt.
Diese Argumentation funktioniert aber nicht mehr, wenn man aus der Perspektive der Bürgerin oder des Bürgers auf die Vorratsdatenspeicherung schaut. Für die sieht es so aus, dass der Staat ihnen das Schlimmste zutraut und in einer Public-Private-Partnership präventiv alles speichern lässt, was sich dann verwenden lässt, wenn man endlich Terroristin oder Mafioso geworden ist. Die Firmen, von denen bekannt ist, dass immer mal wieder Daten abhanden kommen, soll dann gespeichert werden, wann wer mit wem wo telefoniert hat – im Fall von Mobilfunk-Daten sind das vollständige Bewegungsprofile. Da hilft es auch nichts, dass immer versprochen wird, dass Kommunikationsinhalte nicht gespeichert würden. Der US-amerikanische IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier zum Beispiel hält das für genauso schlimm. Er sagt: „Metadata Equals Surveillance“ Alleine die Tatsache, dass die Polizei selbst der Meinung ist, nur die Verbindungsdaten zur benötigen, macht deren Bedeutung klar.
Da müsste man schon wieder als Bürger die Perspektive des Staats einnehmen und sich sagen, „Wer nichts zu Verbergen hat, hat nichts zu befürchten.“ Leider ist es eben nicht so, dass die Polizei nur auf der Spur von Schuldigen wäre. Auf der Suche nach Schuldigen kommen immer auch Unschuldige ins Visier – wenn man in „Tatort“-Sendungen schon nichts über den Rechtsstaat lernen kann, so kann man durchaus lernen, dass die Kommissare auch zunächst fünf falschen Leuten hinterher laufen, bis die zum Schluss den Richtigen haben. Wie sich diese Art der Überwachung anfühlt, kann man sich bei Andrej Holm anhören. Der ist unschuldig zweieinhalb Jahre von der Bundesanwaltschaft überwacht worden.
Eine andere Begründung für die Vorratsdatenspeicherung ist, dass man früher auf die Telefonrechnungen hätte zugreifen können. Und das wäre auch nie ein Problem gewesen – warum soll das heute ein Problem sein? Das ist natürlich ein Argument, das extrem aus der Zeit gefallen ist. In einer Welt, da alle ausschließlich Festnetzanschlüsse hatten, sich ganze Familien noch Anschlüsse geteilt haben und man mal abends bei Oma angerufen hat, da mag das noch vertretbar gewesen sein. Heute haben alle ein Mobiltelefon. Das ist mit der Vorratsdatenspeicherung eine elektronische Fußfessel! Und nicht nur mit den Positionsdaten. Auf die verzichtet der SPD-Beschluss explizit. Die Nutzungsrate ist aber viel höher und das Beziehungsgeflecht der Menschen wird viel genauer aufgezeichnet. Das hat nichts mehr mit der alten Telefonrechnung zu tun.
Es ist Fakt, dass jede Bewegung, jeder Kontakt von jedem Menschen, jedem Greis und von jeder Pastorin und jedem Arzt gespeichert werden soll – bis zu drei Monaten, oder sechs oder zwölf. Wer das nicht als Überwachung bezeichnet, hat einen sehr merkwürdigen Blick auf seine Mitmenschen.