Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

10. Oktober 2014

Big Data
Nummerokratie II – Das konsumistische Manifest

Eine große Zahl: 2
Eine große Zahl: 2 | Foto: Jon Mitchell - CC BY 2.0

Gute Informationen sind schwer zu bekommen. Noch schwerer ist es, mit ihnen etwas anzufangen.“ Sherlock Holmes

Von der „Verdrängung des Theoretischen durch das Faktische“ spricht Roberto Simanowski in Data Love. Und meint damit Big Data Mining, wie neuerdings „die computergesteuerte Analyse großer Datensammlungen auf bestimmte Gesetzmäßigkeiten und unbekannte Zusammenhänge hin“1 genannt wird.

Internetkonzerne wie Google und Facebook stehen für die Vorteile, die „eine resolute und effektive Datenakkumulation und -analyse dem Kunden versprechen2„. Jared Cohen und Eric Schmidt reden deswegen in dem Buch Die Vernetzung der Welt vom Datenstrom als Geschenk für Behörden und Unternehmen, „mit dem sie auf die Bedürfnisse ihrer Bürger und Kunden eingehen, spezifische demographische Gruppen erreichen und mithilfe neuer Methoden künftige Entwicklungen prognostizieren können3„. Die Nutzer geben mehr Daten von sich preis als sie ahnen – und die Preisgabe erfolgt nicht immer freiwillig. Ob als der berühmte Flu-Index von Google oder als Kundenfürsorge: Ziel der Datensammlung und -analyse sei immer der Mensch. Und zwar: „die Verbesserung seiner wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen Situation4„. Das betonen Internetkonzerne und Behörden gleichermaßen.

We are living in a box, ehhh … bubble.

Erstmalig erfolgt die Datenverarbeitung jedoch ohne Theoriebildung. Datenströme werden auf Korrelationen ausgewertet, ohne dabei die Korrelation mit dem Zufall zu berücksichtigen oder etwa zwischen starken und schwachen Korrelationen zu unterscheiden. Genauer genommen, ohne darauf zu achten, dass ein ursächlicher Zusammenhang besteht, sobald zwei Tatsachen zueinander in Beziehung gestellt werden. Simanowski spricht in diesem Zusammenhang von „post-theoretical age“ und von gewisser Theoriemüdigkeit. Die neue Qualität wird durch mehr Quantität erreicht. Datenverarbeitung ohne Theoriebildung entfernt sich damit davon, was Wissenschaft bedeutet. Big Data Mining führt nicht unbedingt zu mehr Wissen.

Was damit gemeint ist, zeigt das Storch-und-Baby-Beispiel. Rudolf Flesch zitiert in seinem Buch Besser schreiben, sprechen, denken einen Statistiker, der entdeckte, dass es eine Korrelation von 0.9 zwischen der Anzahl von Storchennestern und den Geburten in Stockholm während einer bestimmten Anzahl von Jahren gab.5 Der strengen Wenn-dann-Logik des Big Data Mining folgend müsste daraus zwangsläufig eine Voraussage resultieren, dass Kinder von Störchen gebracht werden. Die Big-Data-Logik ist die Logik eines Dreijährigen.

Das Eli-Pariser-Syndrom

Statistik sei der Anwalt der Straße, schreibt Simanowski, doch das ist nicht das Hauptproblem. Jedenfalls nicht für eine Generation, für die das Buch Lügen mit Zahlen zum Bestseller wurde. Die „Angstworte der Zukunft“ heißen tatsächlich predictive analytics und algorithmic regulation, also weniger Auswertung der Datenströme zur Bestätigung bestimmte Hypothesen oder Vermutungen, sondern ihre Verwendung als Prognoseinstrument in einer Art Minority-Report-Art. Eine Mustersuche kann zur Identifizierung von potenziellen Tätern führen – oder eben nur zur Erkennung von Abweichlern vom Durchschnittswert.

Auf diesem Wege kann „das Gesellschaftliche auf Mathematik reduziert“6 und können alternative Positionen blockiert werden. Eli Pariser7 klagte beispielsweise, dass ihm von Facebook nicht die Updates seiner konservativen Freunde angezeigt werden, da der Facebook-Algorithmus erkennt, dass er sich stärker für die Updates seiner linksorientierten Freunde interessiert. Die Personalisierung des Informationsangebots mag im Hinblick auf Werbung, Einkäufe oder Suchergebnisse effizient und dem Internetnutzer willkommen sein, jedoch im Politischen, wo die Konfrontation verschiedener Standpunkte „das Lebenselixir der Demokratie“ darstellt, mutiert das Internet eventuell zum „gemütlichen Heim der Autopropaganda, die das Subjekt permanent bestätigt und das, was es (noch) nicht ist, unablässig ausblendet“8. Die Logik des Algorithmus dominiert die Logik des Subjekts, gelegentlich auch die Meinung der Gegenseite zur Kenntnis nehmen zu wollen.

In der Zeit vor Big Data waren sich Wissenschaftler einig darüber, dass es bei wissenschaftlicher Erforschung eines Problems zwei Gruppen gibt: Leute, die Daten sammeln, und solche, die Annahmen erstellen. Und man war sich einig, dass die, die Annahmen erstellen, wichtiger sind. „Vornehmer ausgedrückt“, schrieb Flesch, „bedeutet das, dass die Betonung mehr auf Deduktion als auf Induktion liegt und dass die aristotelische Methode … höher eingeschätzt wird als die von Bacon.“9 Genau die Theoriebildung fehlt aber bei Big Data Mining. Das Das (etwas ist so) mache das Warum (deshalb ist es so) überflüssig. Auf diese Weise verändert Big Data Mining unser Verhältnis zur Welt und zum Wissen, behauptet Simanowski.

Der Blick auf die Gesellschaft durch die „statistische“ Brille ermöglicht erstmals die Etablierung des Modells der Nummerokratie10. Wird das Internet durch das Big Data Mining vielleicht doch nicht das gelobte Land der demokratischen Kommunikation werden, das als Mainstream identifizierte Meinungen forciert und die Abweichungen davon unterdrückt? Schon heute würden die politischen Blogs zu 90 Prozent auf „ähnlich denkende“ Websites verlinken, stellt Simanowski fest.

Doppelte Demokratisierung

Um den Vorwurf der „Feudalisierung“ der Erkenntnisse aus dem Big Data Mining zu relativieren, antwortet die Wissenschaft mit einer „doppelten Demokratisierung“ der Erkenntnis. Einerseits wird der Zahl eine Objektivität, ja Unbeeinflussbarkeit und Unabhängigkeit, unterstellt. Andererseits werden die Zahlen im Rahmen einer Self-Tracking-Bewegung von den Nutzern (und Untersuchungssubjekten zugleich) erzeugt – „als empirische Soziologie von unten“11. Bisher sei die Datenfreigabe vorrangig freiwilliger Natur, betonen Cohen und Schmidt. Die Nutzer veröffentlichen bestimmte Inhalte, wie Vorlieben, Entscheidungen, Absichten oder Angewohnheiten aus ihren individuellen sozialen oder wirtschaftlichen Motiven12. Das ist jedoch nicht unbedingt die Regel.

„Wenn neben der liberalen Marktwirtschaft kein anderes Gesellschaftsmodell mehr als Alternative zur Verfügung steht, überzeugt der Befund vom falschen Leben kaum mehr – oder eben nur in dem Sinne, wie Winston Churchill von der Demokratie sprach: als schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen“, schreibt Simanowski13. Auch für die Demokratie kann es dann dank Big Data bald so weit sein, dass die neue Qualität durch mehr Quantität erreicht wird.

Fußnoten

1 Simanowski, Roberto. 2014. Data Love. Berlin: Matthes & Seitz Verlag, S. 9.

2 Ebenda, S. 159.

3 Schmidt, Eric und Cohen, Jared. 2013. Die Vernetzung der Welt. Hamburg: Rowohlt. S. 88.

4 Simanowski, S. 137.

5 Flesch, Rudolf. 1973. Besser schreiben, sprechen, denken. Anregungen, Übungen, Tests. Düsseldorf, Wien: Econ Verlag, S. 251.

6 Simanowski, S. 85.

7 Eli Pariser ist US-amerikanischer Jurist und Aktivist. Vgl.: Thomas Thiel: Eli Pariser: „Filter Bubble“ Im Netz wartet schon der übermächtige Doppelgänger. In: FAZ (7.3.2012).

8 Ebenda, S. 79.

9 Flesch, S. 240.

10 Simanowski, S. 101.

11 Ebenda, S. 115-116.

12 Cohen und Schmidt, S. 88.

13 Simanowski, Roberto. 2014. Data Love. Berlin: Matthes & Seitz Verlag, S. 157.

Aleksandra Sowa

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Dozentin, Fachbuchautorin (u.a. "Management der Informationssicherheit", "IT-Revision, IT-Audit und IT-Compliance"). Im Dietz-Verlag erschienen: "Digital Politics - so verändert das Netz die Politik". Hier äußert sie ihre private Meinung. #Foto by Mark Bollhorst (mark-bollhorst.de)

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Ein Kommentar

  1. […] Zweitens ist da noch die Methodik. Pfui, die Wissenschaft, sagen an dieser Stelle viele. Doch bei Massendatenauswertungen ist es genau die Wissenschaft, die Analyse, das Aufstellen von Vermutungen, Hypothesen, Annahmen etc. – all das, was ein repräsentatives Ergebnis von einem Haufen nutzloser Zahlen unterscheidet. Damit befasse ich mich in „Nummerokratie II“. […]

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