Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

9. April 2014

Schleswig-Holstein
Vorratsdatenspeicherung: „Statt Schnellschüssen neue EU-Richtlinie abwarten!“

Kai Dolgner
Kai Dolgner

In der Aktuellen Stunde heute im Kieler Landtag sprach der netzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Kai Dolgner. Er warnte davor, das Urteil des Europäischen Gerichtshofs als Anleitung zur erneuten Einführung der Vorratsdatenspeicherung zu lesen. Vielmehr seien die Kriterien in der Praxis nicht erfüllbar.

Hier die Rede im Volltext:

Der EuGH setzt extrem hohe Hürden, das sollte jeder zur Kenntnis nehmen! Der EuGH hat sich gestern als echtes Europäisches Verfassungsgericht betätigt und eine bindende EU-Richtlinie für unverhältnismäßig und unvereinbar mit der Grundrechtecharta erklärt und sie aufgehoben. Ich finde es schon erstaunlich, dass ausgerechnet diejenigen, die sonst immer die „EU-Richtlinie“ und „Strafzahlungen“ gerufen haben, zur Tagesordnung übergehen wollen und einen nationalen Alleingang zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung fordern.

Das ist vielleicht aus der Sicht der Befürworter verständlich, denn das Urteil lässt es an Deutlichkeit nicht missen. Zwar bestätigt auch der EuGH, dass die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich für die Strafverfolgung geeignet sei, aber er räumt auch endgültig mit der Legende auf, dass Verbindungsdaten irgendwie harmlos sind: „Aus der Gesamtheit dieser Daten können sehr genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen, deren Daten auf Vorrat gespeichert wurden, gezogen werden, etwa auf Gewohnheiten des täglichen Lebens, ständige oder vorübergehende Aufenthaltsorte, tägliche oder in anderem Rhythmus erfolgende Ortsveränderungen, ausgeübte Tätigkeiten, soziale Beziehungen dieser Personen und das soziale Umfeld, in dem sie verkehren.“ Er kommt deshalb zu dem Schluss, dass der Eingriff in die Grundrechte als „besonders schwerwiegend anzusehen“ sei.

In der nachfolgenden Differenzbeschreibung werden dann konsequenterweise hohe Hürden aufgebaut. So bemängelt der EuGH, dass Berufsgeheimnisträger nicht geschützt seien. Da bin ich mal gespannt, wie man das umsetzen möchte. Der Sinn von Speicherfristen ist ja, dass man erstmal alle Verbindungsdaten ohne Ansehen der Person speichert. Haben alle unzähligen Diensteanbieter zukünftig Filterlisten, die die Speicherung von IP-Adressen, Telefonverbindungsdaten etc. verhindern, sobald nur ein Kommunikationsteilnehmer Geistlicher, Anwalt, Abgeordneter, Sucht- oder Schwangerschaftskonfliktberater ist? Wer erstellt, pflegt und vor allem schützt diese Listen vor dem unbefugten Zugriff Dritter?

Besonders spannend ist aber die folgende Kritik des EuGH:

„insbesondere beschränkt sie die Vorratsspeicherung weder auf die Daten eines bestimmten Zeitraums und/oder eines bestimmten geografischen Gebiets und/oder eines bestimmten Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte, noch auf Personen, deren auf Vorrat gespeicherte Daten aus anderen Gründen zur Verhütung, Feststellung oder Verfolgung schwerer Straftaten beitragen könnten.“

Tja, wenn der Provider oder die Ermittlungsbehörden schon vorher wüssten, welche Verbindungdaten von speziellen Zeiträumen, aus bestimmten geografischen Gebieten und von bestimmten Personenkreisen zur Aufklärung oder gar Verhütung einer noch nicht bekannten schweren Straftat notwendig seien, hätten sie nicht nur hellseherische Fähigkeiten, es wäre vor allem gar keine anlasslose, massenhafte Speicherung auf Vorrat mehr. Ich bin wirklich ehrlich neugierig auf den Richtlinienentwurf, der die notwendige Sprunghöhe für diese und die anderen Hürden, die ich aus Zeitmangel nicht mehr darstellen kann, erreicht.

Und glauben Sie nicht, dass auch die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung klug beraten wären, eine neue EU-Richtlinie abzuwarten? Zwar entfaltet die Grundrechtecharta jetzt keine direkte nationale Bindungswirkung mehr, da es dafür gemäß Artikel 51 einer europäischen Rechtsetzung bedarf, die seit gestern nun nicht mehr existiert.

Falls es aber zu einer neuen Richtlinie kommen sollte, lebt auch die Bindungswirkung für das nationale Recht wieder auf und sie fahren ein doppeltes Risiko: Zum einen, dass die Richtlinie nicht kompatibel mit dem nationalen Recht sein könnte und zum anderen, dass man sich vor dem EuGH wiedersieht. Wäre es dann nicht als Minimalkonsens sinnvoll, mindestens einmal die europäische Rechtsetzung abzuwarten?

Man sollte doch meinen, dass es zu diesem Thema schon ausreichend Schnellschüsse ohne die notwendige Überprüfung der Verhältnismäßigkeit gegeben hat.

Steffen Voß

Mitglied des Arbeitskreises Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein.

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Ein Kommentar

  1. […] mel­dete sich auch SPD-​​Innenminister Andreas Breit­ner zu Wort. Anders als der SPD-​​Abgeordnete Kai Dol­g­ner sieht Andreas Breit­ner das Urteil als kla­ren […]

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