29. Juni 2015
Medienwandel
Blogger contra Alphajournalisten
- By: IAEA Imagebank - CC BY-SA 2.0
„Wir leben in einer postmodernen Kultur“, sagte Politikwissenschaftler, Medienkritiker und Vize-Vorsitzender der Grundwertekommission der SPD, Thomas Meyer, im Interview mit Telepolis, „[a]lles ist gleichgültig geworden. Große politische Richtungsunterschiede werden nicht mehr ernstgenommen und sobald sie auftauchen, lächerlich gemacht“. Das spiegelt sich insbesondere in der heutigen Berichterstattung in den traditionellen Medien.
„In den letzten 15-20 Jahren hat sich eine Uniformität in der Berichterstattung entwickelt, die es zuvor in dem Ausmaße nicht gegeben hat. Eine wechselseitige Kritik der Journalisten untereinander, sei es politisch, kulturell, ideologisch, findet nicht mehr statt.“
Gute an dem neuen Trend ist, schrieb Meyer in seinem Buch Die Unbelangbaren, dass die alten politisch-ideologischen Bastionen, wie diese aus den Zeiten der Bonner Republik, gefallen sind. Doch anstelle der Heterogenität ist journalistisches Mainstreaming getreten. Das, so Meyer im Interview, liegt teilweise an den Bedingungen, welche heute in den Medien vorzufinden sind:
„Es gibt eine Verunsicherung bei Journalisten. Sie wissen nicht, welches Medienhaus morgen noch existiert oder von einem anderen geschluckt wird. Journalisten können nicht mehr wissen, ob sie nicht vielleicht schon morgen bei der Redaktion, die sie heute wegen ihrer politischen Positionierungen kritisieren, im Zuge der Konzentrationsprozesse landen werden. Sie sind hochgradig verunsichert und suchen mehr als je zuvor den Schutz der Herde unter den wachsamen Augen der Alphajournalisten und einiger Vorturner. Von dem auf diese Weise erzeugten Mainstream abzuweichen, wagen nur noch wenige.“
Gerade die Spitzenjournalisten könnten sich durch das Internet, das Bloggern, „Bürgerjournalisten“ und … ganz normalen Bürgern eine Plattform für Äußerungen und Verbreitung alternativer Meinungen und Sichten bittet, „reduziert und manchmal auch ein bisschen entlarvt“ fühlen. Gerade durch das Internet entstehen „kleine oder größere Gegenöffentlichkeiten“, wo die Nutzer die mediale Berichterstattung kritisieren und/oder korrigieren können.
„Das ist eine der echten neuen Chancen, die das Internet mit sich bringt. Das Internet kann den Menschen zeigen, wo Journalisten verzerrte und lückenhafte Wirklichkeitsbilder präsentieren und dass die Schwerpunkte und Meinungen, die ‚Wahrheiten‘, wie sie in den großen Medien vorkommen, häufig nicht wirklich repräsentativ für die Gesellschaft sind. In solchen Fällen können die Menschen selbst die Selektoren erkennen, derer sich Medien bedienen.“
Und diese korrigieren, so Meyer. Oder sich gegenseitig bestätigen, ob und wo das, was die Medien berichten, fehlerhaft, verzerrt, lückenhaft – oder schlicht falsch – ist.
Thomas Meyer im Telepolis-Interview:
Klöckner, Marcus. 2015. „Die große Meinungsvielfalt in der deutschen Presse ist Geschichte“ – Interview mit Thomas Meyer. In: Telepolis (2.6.2015), http://www.heise.de/tp/artikel/45/45077/1.html (Zugriff: 27.6.2015).
Meyer, Thomas. 2015. Die Unbelangbaren: Wie politische Journalisten mitregieren. Berlin: Suhrkamp Verlag.