3. Dezember 2015
Digitale Agenda/Veranstaltung
Datenpolitik ist wichtig. Aber nicht wahlkampfrelevant.
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds, verrät, dass die Mitarbeiter von Mark Zuckerberg mit ihrem Chef über alles reden können. Nur nicht über den Tarifvertrag. Fragen aus dem Publikum können lediglich per SMS und auf Zetteln eingereicht werden. Andrea Nahles ruft zum Mitmachen beim Weißbuch über die Zukunft der Arbeit auf: „Arbeiten 4.0 – gucken Sie rein und beteiligten Sie sich daran!“ Laut Staatssekretär Gerd Billen gäbe es im BGB mehre Paragrafen zur Regelung des Binnenschwarms – aber noch keinen Rechtsrahmen für das Internet. Die Goldgräberstimmung ist vorbei! Am ersten Tag geht der Kuchen, am zweiten die Programmhefte aus. Staatssekretär Matthias Machnig sieht Twitter als Mittel zur Selbstinszenierung – auch von Politikern – und nicht als Kommunikationsmedium. Und aus Hannelore Kraft wird Hannelore Kohl. Wenn auch nur für einen Augenblick.
#DigiKon15: Die digitale Gesellschaft, Der Digital-Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin, 24.-25.11.2015
Sicherheit sei kein Thema für die Sozialdemokraten, bemängelte Ralf Stegner von der SPD Schleswig-Holstein kürzlich auf dem Parteitag in Mainz. War Sicherheit auch kein Thema für den Kongress „Die digitale Gesellschaft“ der Friedrich-Ebert-Stiftung? Dem Programm nach zu erteilen, ja. Ginge es nach den Referenten, stünden Datensicherheit und Datenschutz ziemlich weit oben auf der Themenliste des #DigiKon2015 Die digitale Gesellschaft am 24. und 25.11.2015 in Berlin.
So fanden Themen wie Datensicherheit, Big Data, Cyberkrieg und Datenschutz ihren Weg in die Diskussionen, ohne dass sie auf der Agenda standen.
Offlinebohrer online leihen
Staatssekretärin im BMWiE, Brigitte Zypries (MdB), referierte zum Thema Sharing Economy. Unternehmen, die Sharing-Plattformen betreiben, ob nun für Autos, Wohnungen oder Arbeitskräfte, ersetzen die traditionellen sozialen Netzwerke. Wollte man sich einen Bohrer ausleihen, fragte man früher bei den Nachbarn. Heute ersetzen die Sharing-Plattformen diese Netzwerke: Jetzt kann man sich per Internet einen Bohrer mit anderen teilen, und die Vermittler – die Sharing-Plattformen – erhalten dafür eine Gebühr.
Doch inzwischen gibt es auch solche Start-ups, bei denen man Aufkleber für den Briefkasten kaufen kann, auf dem steht, dass man einen Bohrer auszuleihen hätte, damit es die Nachbarn erfahren können. Rückkehr zu den Offlinenetzwerken? Möglich wäre es.
Die Studien belegen tatsächlich, dass immer weniger Start-ups im Bereich Social Networks gegründet werden. Dafür aber zunehmend mit dem Schwerpunkt Sicherheit. Auch in Deutschland wird die Sicherheitsbranche, insbesondere die Gründungen im Bereich Cybersecurity und Datensicherheit, mit verschiedenen Programmen gefördert, bestätigt Zypries.
Sharing-Plattformen sammeln aber auch Daten ihrer Kunden. Daraus entstünden neue Geschäftsmodelle. Leider wusste auch niemand, wer, wann und was mit diesen Daten macht. Damit greift Brigitte Zypries ein vermeintliches „Randthema“ der Sharing Economy auf: die Big-Data-Technologie. Doch beim Umgang mit Big Data könne Deutschland jetzt auf ein wichtiges Instrument zurückgreifen: die EU-Datenschutzverordnung.
Substanz- oder Kommunikationsproblem?
In der Podiumsdiskussion Politik in „Neuland“ bemängelt Matthias Machnig, Staatssekretär im BMWiE, wie gedankenlos die Menschen mit Geräten umgehen. Dadurch würden Daten produziert, aus denen wiederum neue Geschäftsmodelle entstünden. Datensicherheit sei daher wichtig. Man solle ein kritisch-distanziertes Verhältnis entwickeln, „wir brauchen Rechtsrahmen für digitale Kompetenz“, einen bewussten Umgang mit dem Kommunikationsmittel, sagt Machnig. Internet sei ein Kommunikationsmittel – kein Heilmittel für Demokratie und Politik. Als „Retter der Demokratie“ benötige man das Internet nicht, und er bemängelt weiter, dass die Politik ein Substanzproblem hätte, wenn sie glaube, sie hätte ein Kommunikationsproblem.
Markus Beckedahl von netzpolitik.org widerspricht: Nicht nur Datensicherheit – auch Datenschutz sei wichtig. Matthias Machnig sei dafür – die Regierung aber nicht. Spätestens nach den Enthüllungen von Edward Snowden sei es deutlich geworden, dass wir in einer ziemlich überwachten Kommunikationsumgebung leben und arbeiten. Die Bilanz nach zwei Jahren: Es ist nichts passiert. Vielmehr, kritisiert Beckedahl, haben wir jetzt auch noch die Vorratsdatenspeicherung.
Das Ende der Weltraumtheorie
Die nationale, wiedereingeführte Vorratsdatenspeicherung sei ein Kompromiss mit dem Koalitionspartner, erklärt Christian Flisek (MdB) vom NSA-Untersuchungsausschuss. Dem Gesetz wurde eine Evaluationsklausel beigefügt. Das heißt: Nach drei Jahren wird das Gesetz überprüft und, sollte es sich als unwirksam erweisen, „begraben“. Im Eckpunktepapier der SPD-Fraktion zur Reform der Geheimdienste spricht man sich allerdings gegen die Vorratsdatenspeicherung durch die Nachrichtendienste aus. Die vorgeschlagene Geheimdienstreform, so Fliesek, wäre die größte in der Geschichte der Bundesrepublik.
In seinem Forum Freiheit in Zeiten der Überwachung erklärt Flisek u. a. die „Weltraumtheorie“ des BND. Demnach würden Daten, welche aus Satellitenübertragung gewonnen wurden, nicht dem deutschen Recht unterliegen. Obwohl sich die Datenschutzbeauftragte des BND gegen diese Interpretation ausgesprochen hatte, bestand die Weltraumtheorie für die BND-Überwachung weiter. Die neue Geheimdienstreform, so Flisek, solle dafür sorgen, dass in Zukunft solche Theorien nicht mehr gelten und in den Geheimdiensten Menschen arbeiten, die „grundschutzaffin“ sind.
Privatsphäre im Internet
Im Forum Völkerrecht des Netzes diskutieren Dr. Matthias Kettemann, Autor von Völkerrecht in Zeiten des Netzes, und der netzpolitische Sprecher der SPD, Lars Klingbeil (MdB). Viele Staaten würden das Völkerrecht im Internet verletzen, so Kettemann. Dabei sei Privatsphäre (und Datenschutz) Voraussetzung für das Internet.
Wenn Anonymus dem Islamstaat den Kriegt erklärt, so wirft dies viele (völkerrechtlich) interessante Fragen auf. Ist der IS ein Staat? Wann herrscht ein Zustand des Krieges, wann ein Zustand des Friedens?, fragt Klingbeil, der u. a. Mitglied im Verteidigungsausschuss ist. Das Verteidigungsministerium möchte ein „Cyber-Kommando“ einrichten, ein konkreter Vorschlag dazu wird im März 2016 erwartet. Klingbeil vermutet jedoch, dass sich die Probleme nicht nationalstaatlich lösen lassen.
Kettemann erläutert, dass der Terminus „Bewaffneter Konflikt“, nicht „Krieg“, völkerrechtlich zutreffend sei. Ein „Bewaffneter Konflikt“ benötigt eine physische Komponente. Es gäbe demnach keinen „Cyberwar“, es gäbe aber „Cyberangriffe“, gegen die man sich verteidigen kann. Er spricht von „Defence“ gegen Cyberangriffe. So dürfen beispielsweise die Angriffe der Hacker nicht dem Land zugeordnet werden, aus dem sie gestartet wurden.
Brauchen wir ein neues Völkerrecht für das Internet? Dr. Kettemann verteidigt bestehendes Völkerrecht. Man soll es anwenden, nicht nach neuem Recht rufen, empfiehlt er.
Bloß keine Hysterie
„Zum Abschluss […] geht es noch um das Thema Datenschutz. Für viele Menschen sind die digitalen Dienste und was dort mit den eigenen Daten passiert nicht greifbar. Daher lassen sie vorsichtshalber die Finger davon“, kommentiert Paul Knecht im Kongressblog. Trotzdem rät Nico Lumma von D64 „zu etwas weniger Hysterie. Firmen wie Facebook und Google würden diese Daten nicht verkaufen, sondern lediglich anonymisiert nutzen, um Werbung auszuspielen.“
Das immerhin beruhigt.