13. Oktober 2015
Buchtipp
Keine Killerroboter in Sicht
- Foto: Keoni Cabral - CC BY 2.0
Was hat ein deutscher Polizist im Jahr 2064, was er heute noch nicht hat? Ganz einfach: eine Frau als Vorgesetzte und einen Roboter als Kollegen. Obwohl die Politik gerne den Beifall für fünfzig Jahre erfolgreiche Frauenförderung ernten würde, so ist klar, dass die Frauen ihren gesellschaftlichen Aufstieg nur sich selbst zu verdanken haben: „Die Gleichbehandlung haben sich die Frauen selbst erkämpft, indem sie sich bestmögliche Ausbildung verschafften und härter arbeiteten“, heißt es in Germany 2064.
Doch Aufstieg durch Leistung ist in der deutschen Gesellschaft im Jahr 2064 immer noch keine Selbstverständlichkeit. Bei den ersten schlauen Robotern muss deswegen noch kräftig nachgeholfen werden, auch wenn sie keine direkte Konkurrenz mehr für die menschlichen Arbeitskräfte darstellen, denn „[z]u der befürchteten Massenarbeitslosigkeit infolge einer immer weiter um sich greifenden Automatisierung war es nicht gekommen“.
In Martin Walkers neuem Zukunftsthriller Germany 2064 spielen direkt zwei Prototypen humanoider Roboter die Hauptrollen: Der eine, Roberto, wird im Polizeidienst erprobt, der andere, Stirling, ist … verschwunden.
Diese zwei sind natürlich nicht die ersten Roboter überhaupt, aber sie unterscheiden sich von ihren Vorgängern durch das humanoide, beinahe menschliche Aussehen. Verbesserte Stimme, Analyse- und Lernfähigkeiten dieser Modelle sollen einer neuen Generation von Robotern den Weg in die Gesellschaft bahnen und ihre Akzeptanz steigern helfen.
Die Gesellschaft, welche in den Zukunftsszenarien des A.T. Kearney-Think-Tanks entwickelt und im Roman verwoben wurde, ist eine Gesellschaft voller Antagonismen. Die einen leben in hoch-technisierten Städten, verchipt, automatisiert und geschützt. Die anderen entsagen dem Komfort der Städte – aber auch der Kontrolle – und leben als Selbstversorger in der Natur.
Die „Freien Gebiete“ werden von Kommunen, ehemaligen Klostergemeinden, Künstlern und freien Geistern bevölkert und unterhalten sogar eine eigene Universität. Darauf, dass so wenig Kontrolle der Politik ein Dorn im Auge ist, muss man nicht lange warten. Die steigende Kriminalität wird für die nötige Intervention verantwortlich gemacht – und die Auflösung der Freien Gebiete als Endlösung scheint nicht ausgeschlossen zu sein. Als die Schwester eines deutschen Abgeordneten in den Freien Gebieten entführt wird und zeitgleich ein Roboter verschwindet, eskaliert die Situation.
So liest sich die perfekte Vorlage für einen Zukunftsthriller, der für den diesjährigen Wirtschaftsbuch Preis nominiert wurde.
Deutsche Roboter sind Pazifisten. Aber die Welt um sie herum scheint von bösen Robotern, hergestellt aus niederen Beweggründen und für niedere Zwecke, nur zu wimmeln. Da seien die amerikanische Robotikindustrie, die Kampfroboter herstellt, dann die russischen Sexroboter und die Proboter genannt: „Automatisierte Hacker, Roboter mit Programmierkenntnissen, die rund um die Uhr nach Schlupflöchern in Computersystemen suchen“, entwickelt ursprünglich von Amerikanern zur Wirtschaftsspionage und eingesetzt, um „die Steuerung feindlicher Drohnen oder Raketenabwehrsysteme zu manipulieren“.
Die Angst, die guten Roboter könnten durch die Bösewichte angegriffen und ihre Software manipuliert werden, dominiert die Sicherheitskultur der Zukunft.
Erstens ist der Zugriff auf die Prototypen – der Code – nur dem Hersteller und Produzenten der beiden Roboter vorbehalten. Doch „[e]s ist ziemlich wahrscheinlich, dass außer ihm noch jemand den Zugriffscode kennt“, gibt der schlaue Polizeiroboter über seinen Schöpfer zu bedenken.
Zweitens gelten im Robotikunternehmen verschärfte Sicherheitsbedingungen für die Mitarbeiter und Praktikanten: „Wir legen großen Wert auf finanzielle Transparenz“, erläutert der Sicherheitschef des Robotikunternehmens, selbst ein ehemaliger Europol-Mitarbeiter, „Industriespionage stellt eine so große Gefahr dar, dass wir geeignete Vorsorge treffen müssen und zum Beispiel sicherstellen, dass unsere Mitarbeiter oder deren Lebenspartner nicht bestochen werden können, ohne dass es uns auffällt. Und da eine Offenlegung der finanziellen Verhältnisse freiwillig ist, ist sie rechtlich auch nicht angreifbar. Die Gewerkschaftsmitglieder im Aufsichtsrat sind ebenfalls einverstanden.“
Dass mehr Kontrolle automatisch bessere Sicherheit bedeute, bleibt auch in der Zukunft eine Illusion. Kriminogene Strukturen können offenbar unabhängig vom Grad der Überwachung entstehen. Die von Kriminalität gezeichneten Freien Gebiete stehen den Hightechstädten gegenüber, in welchen persönliche Sicherheit letztendlich die Frage der privaten Sicherheitsdienste und des gut gefüllten Portemonnaie ist. Und am Ende ist es – auch in fünfzig Jahren – doch der Bock, dem man zum Gärtner gemacht hat.
Eine polnische Zeitschrift startete vor wenigen Monaten die Aktion: „Wir suchen den polnischen Steve Jobs!“. Hierzulande wäre es wiederum interessant, den Robotikunternehmer aus Martin Walkers Roman, Friedrich Wendt, ausfindig zu machen. Beziehungsweise den, der ihm als Vorlage hierfür dienen könnte.
Im Jahr 2064 hundertundzwölf Jahre alt, müsste der Unternehmer heute mit 61 Jahren eine Firma leiten, die zu den Marktführern in der Herstellung von Autonavigationssystemen gehört (und das er in den nächsten fünfzig Jahren zum führenden Robotikunternehmen ausbauen wird). Er sollte laut Beschreibung an der Harvard Business School studiert und das Unternehmen von seinem Vater übernommen haben. Sportlich, visionär. Also: Wir suchen den „echten“ Fred Wendt! Kandidaten mögen sich bitte melden.
Links
- Diogenes Verlag: Martin Walker – Germany 2064, 432 Seiten, 24,- €