Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

25. September 2015

Partizipation
Onlife, oder die Verbannung der Nacktheit aus dem Internet

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Foto: pixabay.com

„Die Hälfte der Menschheit ist auf Facebook“, konstatiert Luciano Floridi, Professor für Philosophie und Ethik an der Universität Oxford und im Jahr 2012 Vorsitzender der EU-Kommission „Onlife Initiative“, in einem Interview mit der Zeitschrift Philosophie Magazin (06/2015). Floridi spricht von einer „ontologischen Macht“ der Internetkonzerne wie Google, Apple oder Amazon und macht klar: „[…] natürlich ist damit auch die Möglichkeit zur politischen Einflussnahme verbunden.“

„Dass Facebook seine Benutzerdaten für wissenschaftliche Experimente gebraucht, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs“, sagt Floridi, denn viel mehr Macht würde sich hinter der Tatsache verbergen, dass die Internetkonzerne die alltäglichen Erfahrungen von Hunderten Millionen Menschen prägen würden und kontrollieren könnten: „Sie haben damit auch die Macht, wesentliche Entscheidungsprozesse ihrer Nutzer zu beeinflussen.“

Floridi zeigt am Beispiel der Historie des Umgangs mit Nacktbildern im Internet, wie durch die Internetkonzerne auf soziokulturelle Entwicklungen Einfluss genommen wird und so Standards „totalisiert“ werden:

„[…] denken Sie nur an den Umgang mit Nacktheit. Er ist in den USA anders als in vielen Ländern Europas, und das überträgt sich auf die Nutzungsregeln beispielsweise bei Facebook, wo jede Form von Nacktheit – selbst die nackte Brust einer stillenden Mutter – als pornografisch zensiert wird. Ganz allgemein ist hier ein höherer Grad von Toleranz wünschenswert, allerdings verengt sich die Infosphäre und mit ihr unsere Weltanschauung.“

Noch gäbe es eine größere Macht als die Marktmacht und die „ontologische“ Macht der Internetkonzerne. Das sei die Macht ethischer und legaler Regeln der Staaten. Erst wenn es den Lobbyisten dieser Unternehmen gelänge, die Grenze zwischen der ontologischen und legalen Macht aufzuheben, sei es eventuell zu spät für die friedliche Intervention und die Reformen. „Wir müssen die ontologische Macht dieser Unternehmen […] demokratisch bändigen“, appelliert Floridi. Und doch würde seitens der Regierungen eine Haltung des „ontologischen Laissez-faire“ herrschen:

„Mich besorgt vor allem die Kurzsichtigkeit der demokratischen Machthaber, die den Aufbau und die Pflege eben jener technologisierten Umwelten, in denen Milliarden von Menschen immer mehr Zeit verbringen, einfach an Privatunternehmen delegiert haben“.

Man hoffe darauf, dass die Internetkonzerne nichts Übles mit ihrer Macht anstellen würden, kritisiert Floridi, „[a]ber einfach das Beste zu hoffen ist keine politische Strategie“.

Und wie verhält es sich konkret mit dem „Onlife“? Nun, wir würden jetzt schon meist online leben, erklärt Floridi, nämlich im „Onlife“: „Es geht dabei um all die Erfahrungen, in denen sich online und offline vermengen – oft ohne unser Wissen oder Zutun.“

Für die Softwareentwicker wird es sicherlich interessant, dass es Ontologie nicht nur in der Informatik gibt. Oder vielmehr, dass es den Begriff in der Philosophie bereits gab, lange bevor der erste Rechner erfunden wurde. Ontologie dient dem Informatiker der (virtuellen) Darstellung von komplexen Zusammenhängen zwischen verschiedenen Typen, Instanzen, Hierarchien und Zusammenhängen sowie Axiomen zwecks Wissenspräsentation als Teilgebiet der seit Kurzem wieder einen Aufschub erlebenden Künstlichen Intelligenz. Dass Floridi im Zusammenhang mit den Internetkonzernen ausgerechnet von ontologischer Macht spricht, bringt die zwei Ausprägungen des Begriffes wieder zueinander. Die Online- und Offlinewelt sind sich wieder einen Schritt näher gekommen. Wie man es im „Onlife“ auch erwartet hat.

Aleksandra Sowa

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Dozentin, Fachbuchautorin (u.a. "Management der Informationssicherheit", "IT-Revision, IT-Audit und IT-Compliance"). Im Dietz-Verlag erschienen: "Digital Politics - so verändert das Netz die Politik". Hier äußert sie ihre private Meinung. #Foto by Mark Bollhorst (mark-bollhorst.de)

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Ein Kommentar

  1. Alex sagt:

    Passenderweise dazu kam jetzt der kleine Geburtsstreich von Micky Beisenherz: http://mobil.stern.de/lifestyle/leute/micky-beisenherz-veralbert-facebook-6526314.html
    😉

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