9. Juni 2015
Big Data
Zuckerbrot und Peitsche – aber bitte keine Süßigkeiten!
- Beichtstuhl 1.0 | Foto: Eddy Van 3000 - CC BY-SA 2.0
Pavlok konditioniert seine Nutzer mit Stromschlägen. Für die polnische Zeitschrift Nowe Media schrieb ich kürzlich über die Risiken und Chancen des Internet der Dinge und der Industrie 4.0. Es ging um selbstfahrende Autos und Getreidemäher, lernende Algorithmen – und Prothesen für die Menschen. Sowohl diese, die unseren Körper vervollständigen oder ergänzen können (wie der netzgesteuerte Herzschrittmacher mit eigener IP-Adresse) als auch Upgrades für kognitives Denken (ähnlich wie IBM’s Watson), schnelleres Rechnen oder Massendatenauswertung.
Ich schrieb:
„Möglicherweise brauchen wir heute eher ethische Prothesen als selbstfahrende Autos oder kommunizierende Kühlschränke. Laut Alexandre Lacroix, wurden in Sillicon Valley bereits Kopfhörer entwickelt, die vor geistiger Übermüdung bei der Arbeit schützen indem sie mit leichten Stromschlägen das Gehirn stimulieren. Sie wurden nur noch nicht zur Nutzung zugelassen. Intelligente Armbänder könnten demnach auch Indikatoren des nicht-ethischen Verhaltens messen und bei unmoralischen Verhalten des Armbandbesitzers diesen mit Stromschlägen bestrafen. Wearables sind heute zu einem modischen Gadget geworden, mit welchem sich Politiker und Manager gerne abbilden lassen. Die Erweiterung der Funktionen bestehender Sportbänder um Messwerte, die unethischen Verhalten zuordenbar sind, wäre vermutlich heute schon möglich.“
Augenzwinkern.
Der Vorschlag war natürlich nicht ernst gemeint. Wer würde schon Manager dazu verpflichten können, solche Bänder zu tragen. Geschweige denn, dass man zuerst eine Reihe von Freiwilligen bräuchte, die die Big Data Speicher mit Informationen füllen, damit die am ehesten mit unethischen Verhalten (positiv oder negativ) korrelierten Indikatoren (Erhöhung oder Senkung der Herzfrequenz, Adrenalinausstoß, Gänsehaut, etc.) bestimmt werden können.
Doch ich irrte.
Denn kurz danach erfuhr ich, dass es diese Bänder schon gibt. Zwar noch als Prototyp, aber man kann sie bestellen und testen. Mit – nicht lebensgefährlichen – Stromschlägen bis zu maximal 350 Volt kann sich der Besitzer des Pavlok-Armbandes für „schlechtes“ Verhalten bestrafen. So kann man sich das Rauchen von Zigaretten abgewöhnen, das ungesunde Essen oder Fingernägelkauen abstellen, werben die Konstrukteure von Behavioral Technology Group. Mehr ist mithilfe einer speziell dafür konzipierten App möglich. Dort können weitere korrigierbare Verhaltensmuster definiert werden, beispielsweise Angewöhnung rechtzeitigen Aufstehens oder das Fernbleiben von den zeitraubenden Webseiten. Der Erfolg – die erwünschte Veränderung des Verhaltens – tritt nach Angaben des Herstellers in meisten Fällen in weniger als fünf Tagen ein.
Dass das Band ausgerechnet Pavlok heißt ist kein Zufall.
Der russischer Forscher, Iwan Petrowitsch Pawlow, zeigte in einem Experiment, dass man das Verhalten eines Hundes – und folglich auch eines Menschen – konditionieren kann. Der „Pawlowsche Hund“ (eigentlich waren es zwei) reagierte auf den Stimuli „Schritte des Besitzers“ mit Aktivierung des Verdauungssystems. Die Schritte des Besitzers weckten die Erwartung des Futterns – auch ohne das Futter.
Nun konditioniert das Pavlok-Band die Besitzer mit Bestrafung – und erzieht sie so zum besseren beziehungsweise erwünschten Verhalten. Ein Konzept, das nicht neu ist, denn er wird schon seit mehr als zwei Tausend Jahren von einer anderen Institution erfolgreich praktiziert – von der katholischen Kirche. Das Konzept der Beichte, Buße und Absolution beispielsweise basiert auf freiwilliger Selbstbestrafung – das Maß der Strafe setzt allerdings der geweihte Priester, fest.
Ob nun fünf Mal Ave Maria, Pilgerfahrt nach Rom oder eine Spende für das Dach der Kirche – das Strafmaß richtet sich nach der Schwere der Sünden – und dem Ermessen des die Beichte abnehmenden Geistlichen. Jährliche Beichte beziehungsweise Buße, bevorzugt zur Osterzeit, wird vom Katechismus als notwendig für das Überleben Seele erachtet – auch wenn man sich keiner schweren Sünde bewusst ist. Von dieser catharsis-ähnlichen Selbsterfahrung konnte die Katholiken weder Martin Luther noch die Reformation abbringen.
Big Data statt allwissender Gott
Dass die katholische Kirche – bei allem Reformbestreben – das Pavlok-Armband künftig einsetzt ist eher unwahrscheinlich. Es geht dabei weniger um das Arbeitsmoral und Auslastung der Beichtväter (laut Kirchenstatistik sind die katholische und evangelische Kirche in Deutschland der zweitgrößte Arbeitgeber – nach dem öffentlichen Dienst). Was das Pavlok-Band nicht gewährleisten kann, ist das Beichtgeheimnis, das laut Artikel 9 des Konkordates unverletzlich ist (Can. 983 – § 1 Codex Iuris Canonici, 1987). Geistliche sind demnach nicht verpflichtet, Straftaten (auch schwere oder geplante Straftaten), die ihnen im Rahmen der Beichte anvertraut worden sind, staatlichen Stellen gegenüber anzuzeigen. Das Risiko, dass die Pavlok-Daten über gerauchte Zigaretten, verzehrte Süßigkeiten, Seitensprünge etc. irgendwo zur Optimierungszwecken gesammelt werden, ist groß. Die Verführung der Internetkonzerne, solche Daten zu sammeln, zu verwerten oder zu verkaufen, ist noch größer.
Und was die Absolution anbetrifft: Jeder Katholik weiß, dass eine Hostie einfach am besten schmeckt, wenn sie von einer mit einem Breitling geschmückten Hand des Priesters gereicht wird. Modische Armbanduhren hin oder her.