Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

16. August 2016

Big Data/Buchtipp
Drohnen sind wie Dämonen

Foto: Martin Fisch - CC BY-SA 2.0

Alles und nichts. Ja und nein. Nur scheinbar ein Widerspruch – jedenfalls nicht dann, wenn man die Welt aus dem Blickwinkel einer digitalen Weltformel betrachtet.

Im 19. Jahrhundert formulierte George Boole, ein irischer Mathematiker, „die Idee eines logischen Universums, dessen Elemente sich durch die Logik von Anwesenheit/Abwesenheit, 0 oder 1 darstellen lassen“, erklären Martin Burckhardt und Dirk Höfer in Alles und Nichts. In der boolschen Welt ergibt 1 mal 1 mal 1 immer 1, wie auch 0 mal 0 mal 0 immer 0 und x mal x mal x immer x ergibt. „Und genau deshalb treffen sich Alles und Nichts in der Formel x=xn“, so Burckhardt und Höfer, wobei x ein alphanumerisches Zeichen, eine Audiodatei oder ein Bild, aber genauso gut ein von einem Sensor erfasster Hämoglobinwert im Blut oder das Signal mit Positionsdaten eines Wals sein kann.

x=xn – was für eine merkwürdige Gleichung! Computer und Smart Things: „In jedem x pulsiert ein xn“; Daten: „Das Universe of Documents (xn) ist […] auch ein Dokument des Universums (x) – eine Parallel- oder Spiegelwelt, in der, in einem großen, weltweiten Korpus, alle die Welt betreffenden Dokumente auffindbar sein können“; xn = x: „Hitler als Ausdruck einer Massenformation gelesen, ist kein x-beliebiger Irrtum, sondern der perfekte Resonanzkörper einer kollektiven Psychopathologie“ usw.

Der Dataismus und insbesondere Big Data unterwirft sogar den menschlichen Körper der boolschen Formel, indem die Digitalisierung den Körper in seiner materiellen Erscheinung auflöst und in eine Zeichenwelt überführt. „Der Körper wird zur reinen Information, ein Durchgangsort, in dem sich vorübergehend Intentionen, Handlungen, Ideen manifestieren. Auch, wo dieser Körper der Glückliche ist, der einer Population verworfener Möglichkeiten vorgezogen wurde, ist er wie in der genetischen Lesensart ein auf alle anderen Körper verteilter Einzelkörper (xn=>x) oder umgekehrt ein Einzelkörper, der für die Gesamtheit der Population steht (x<=xn).“

Das birgt gewisse Gefahren, warnen Burckhardt und Höfer, denn das Digitale wird – wie jede andere Technologie – eine Technologie sein, die das Reale unterwirft. Durch die „Verflüssigung“ des Körpers wird das Reale mehr und mehr in die Geisterwelt des Digitalen diffundieren, der „digitale Schatten […] wird mächtiger als die Dinge selbst“. Mehr noch: „In der Maschine, im digitalen Raum, lässt sich der Körper zu einem Wunschkörper zusammenbauen.“ Es verwundert daher nicht, dass diese Daten, der digitale Schatten, solche Begehrlichkeiten auslösen. Ob auf der „dunklen, weil undurchschaubaren Seite der Macht“ nun Google oder NSA steht: „Die einen missbrauchen meine Daten zu Geschäftszwecken, gerieren sich als Seelenverkäufer, die anderen zu totalitären Zwecken, sie etablieren ein digitales Panoptikum, das mich verfolgt, überwacht, manipuliert und meine Freiheit nimmt. In beiden Fällen werde ich beraubt.“ Noch sind es die Menschen, die darauf zu achten haben, wie es „den Geistern in der Geisterwelt“, dem digitalen Schatten, geht. Künftig könnten die „Geister darauf zu achten haben, wie es den Menschen geht“. Das sei die Hoffnung der kalifornischen Weltanschauung, so Burckhardt und Höfer, dass die haptische und digitale – also die natürliche und geistartige – Welt nicht mehr voneinander getrennt sind. Deswegen setzt sie auf totale Transparenz, d. h. auf die totale Durchdringung des digitalen und physischen Raums.

"Alles und Nichts" von Martin Burckhardt und Dirk Höfer

„Alles und Nichts“ von Martin Burckhardt und Dirk Höfer

„Meine Daten sind wie mein Schatten, wenn du sie mir nimmst, raubst du mir meine Seele“ – doch wessen werde ich da eigentlich beraubt?, fragen Burckhardt und Höfer ketzerisch. Und würde man, indem man den Anspruch auf die Datensouveränität erhebt, nicht auf all diese Annehmlichkeiten verzichten müssen, die einem die Suchmaschinen, Navigation und Kommunikation im digitalen Raum bieten? „[W]erde ich etwa, wenn ich über eine nasse Wiese gehe und Fußstapfen hinterlasse, eine Art Urheberrecht auf diese Spuren anmelden können?“

Das sei, nach Auffassung der Autoren, auch das Problem des Datenschutzes, „der Abgrund zwischen dem Äther, in dem mein Datenleib haust, und der physischen Gegenstandswelt“. Im Netzwerk löse sich das, was der Mensch für seine Identität hält, auf. Man könne nicht behaupten, dass ein bestimmtes Datum einem bestimmten physischen Körper gehört. Das ermöglicht wiederum einem juristischen Körper – ob nun Google oder NSA –, sich eines Datenkörpers zu bemächtigen, „was einer Form der symbolischen Verhaftung, einem Habeas corpus gleichkommt“. Während dessen wird der tatsächliche Körper von seiner Umgebung immer mehr abgeschottet, „in einer künstlichen Fruchtblase gehalten“: Die Nahrung wird weicher, die Kleidung anschmiegsamer, die Gerätschaften intuitiver, das Wohnen komfortabler und das Auto eine sich selbst steuernde Kapsel …

 

Alle Zitate aus:

Martin Burckhardt, Dirk Höfer: Alles und Nichts. Ein Pandämonium digitaler Weltvernichtung, Matthes & Seitz Berlin, 123 Seiten, 9,99 €, ISBN: 978-3-95757-218-9

 

Aleksandra Sowa

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Dozentin, Fachbuchautorin (u.a. "Management der Informationssicherheit", "IT-Revision, IT-Audit und IT-Compliance"). Im Dietz-Verlag erschienen: "Digital Politics - so verändert das Netz die Politik". Hier äußert sie ihre private Meinung. #Foto by Mark Bollhorst (mark-bollhorst.de)

More Posts

Follow Me:
TwitterLinkedInGoogle Plus

Schlagwörter: , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert