Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

9. Oktober 2016

Debatten
Privatisierung durch die Hintertür

Foto: Martin Fisch - CC BY-SA 2.0

Private Unternehmen übernehmen immer mehr Aufgaben, Services und Dienstleistungen von der öffentlichen Hand. Doch sind Digitalisierung und Modernisierung öffentlicher Verwaltungen womöglich nur ein Euphemismus für Privatisierung?, fragt Evgeny Morozov.

„The corporation in a democratic society: in whose interest ought it and will it be run”. (Friedrich von Hayek, 1969)

Wohlstand, den uns Unternehmen bescheren, würde zuallererst Wohlstand für ebendiese generieren, konstatiert Evgeny Morozov im Essay „Only a cash-strapped public sector still finds ‚smart‘ technology sexy“, der in The Guardian erschien. Dass Unternehmen keine humanistischen Institutionen sind, weiß man spätestens seit dem Erscheinen von „Entdeckung der Faulheit“ der französischen Schriftstellerin Corinne Maier. Doch Morozov meint das relativ junge Phänomen des zunehmenden Outsourcings von Public Services durch die Regierungen an private Unternehmen. Im Unterschied zur Privatisierungswelle der staatlichen Unternehmen, wie sie beispielsweise im Europa der 1980er-Jahre stattfand, betrifft diese keine Staatskonzerne, sondern findet fast ausschließlich auf der Ebene der staatlichen Makro- und Mikroservices statt. Schrittweise werden einzelne öffentliche Aufgaben, Dienste und Services an private Unternehmen verlagert, indem sie digitalisiert werden. Es ist gewissermaßen eine Privatisierung durch die Hintertür. Im Fokus der morozovschen Kritik: die Nutznießer der „smarten“ Privatisierung in den USA – die Unternehmen aus dem Silicon Valley.

Ob öffentlicher Verkehr, Netzversorgung, Dienste für Benachteiligte oder die „Volksversicherung“ Obamacare in den USA: Von den „smarten“ Programmen versprechen sich die Regierungen, dass sie ihnen Arbeit abnehmen und ihre Angelegenheiten schneller und billiger erledigen. Für die Firmen, die die Aufträge ergattern, bedeuten sie das Versprechen garantierter Einnahmen und einen garantierten Zugriff auf die Kundendaten. Digitalisiert werden die Städteverwaltung, Geburtenanmeldungen, An- oder Abmeldungen in Schulen, Umzugsmeldungen oder Behindertentransporte. Die Staatsanwaltschaft führt elektronische Akten ein, während Internetkonzerne wie Google oder Facebook das Internet in die entlegensten Winkel der Welt bringen sollen.

Die Regierungen digitalisieren oft lemminghaft alles, was sich digitalisieren lässt. Es scheint, so Morozov, dass nur noch der öffentliche Sektor das Wort „smart“ sexy findet, während sich die Privatwirtschaft langsam von dem Versprechen der durch Digitalisierung allein erzielbaren Effizienz und Verbesserungen zu erholen schient. Die Parteien wollen ihre Modernität signalisieren und Deutschland unbedingt „digital nach vorne bringen“. Digitalisiert wird ohne Abwägung der Risiken – auch weil die Gefahren smarter Technologien schwer zu quantifizieren sind. „Mit ‚alten‘ Techniken und Werkzeugen sind wir ‚ausoptimiert‘“, kommentierte Yvonne Hofstetter in APuZ diesen Trend, die digitalen Technologien würden den nächsten wirtschaftlichen Leistungssprung versprechen, „aber nur, wenn wir radikal Neues zu denken bereit sind. Die digitale Transformation fordert Paradigmenwechsel und wird historisch erfolgreiche Modelle von Staat und Unternehmen zum Einsturz bringen.“

Um bei der digitalen Transformation nichts zu verpassen, gibt es kaum einen Abgeordneten in Deutschland, der noch nicht nach Silicon Valley gepilgert ist. Deutsche Unternehmer, Verwaltungs- und Regierungsbeamte lassen keine Gelegenheit aus, von den neuen digitalen Eliten aus dem Valley oder der Stanford University lernen zu dürfen. Oft hören sie dabei wenig Erfreuliches, wie die Delegation des Landes Schleswig-Holstein bei ihrem Besuch in San Francisco. Deutschland sei zu langsam und zu ängstlich, um in der 1. Liga mitspielen zu können, sagte den Delegierten Dr. Burton Lee von der Universität Stanford. Die modernen Physiokraten verfolgen ihre eigenen Vorstellungen von Staat und Regierung. Nicht selten extreme, wie der Geschäftsführer von The Seasteading Institute, Randolph Hencken, für den die Demokratie nur eine „veraltete Technologie“ ist: „Sie hat Reichtum, Gesundheit und Glück für Milliarden Menschen auf der ganzen Welt gebracht. Aber jetzt wollen wir etwas Neues ausprobieren“ Oder der Chef der Telefonica in Deutschland, der von einer „vollständigen Demokratisierung der Daten“ spricht, wenn er einfach nur ihre Verfügbarkeit für alle Shopmitarbeiter meint.

Macht und Einfluss moderner Physiokraten ermöglicht es solchen, anderen ihren Willen aufzuzwingen und ihre eigene Politik zu betreiben, indem sie mehr Einfluss auf das tägliche Leben ausüben als jeder Staat. Nie zuvor waren Unternehmen so mächtig wie heute Google, Facebook oder Apple. Aber auch die Newcomer und kleineren Player auf dem digitalen Markt wollen ihnen in nichts nachstehen. Die Macht verschiebt sich weg vom demokratisch legitimierten Staat, dessen Repräsentanten durch den Souverän wählbar und kontrollierbar sind, hin zu privaten Betrieben, die über Schlüsseltechnologien verfügen, um den nächsten gewaltigen Leistungssprung in der Verwaltung zu gewährleisten. Der Präsident des Bundesamtes für Katastrophenschutz, Unger, gab offen zu, dass der Staat im Katastrophenfall nicht alleine den Schutz der Bevölkerung gewährleisten könne und auf die Hilfe privater Unternehmen angewiesen sei.

Auch wenn sich die Verbalattacken der charismatischen Leader der smarten Unternehmen gegen Demokratie und Gewaltenteilung richten, so haben sie keine Bedenken, von den Aufträgen der demokratisch gewählten Regierungen und ihrer Verwaltungen zu profitieren. Und werden von ihnen kräftig umworben. Die Chefs der Internetkonzerne werden von den Regierungen wie Staatschefs empfangen, während die Medien Pressekonferenzen arrangieren, wie einst beim Besuch des Google-Chefs Eric Schmidt in Deutschland. Medienberichten zufolge soll Bundeswirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel auch seine Partei „digital nach vorne bringen“ wollen und hat zum nächsten SPD-Parteitag den Rocket Internet Chef Oliver Samwer eingeladen.

Doch die Risiken einer Liaison mit der öffentlichen Verwaltung halten sich für die meisten der privaten Unternehmen in Grenzen. Im Zweifelsfall heißt es für sie: schnell raus aus dem „smarten“ Programm. Wenn sich das Geschäft nicht wie erhofft entwickelt, wenn die Quick wins ausbleiben, ziehen sich die privaten Anbieter auf leisen Sohlen aus der Szene zurück und hinterlassen die Bürger wichtiger Services beraubt. Bestenfalls. So, wie es im Fall des Obamacare-Programms passierte, bemerkt Morozov, aus dem sich inzwischen viele Anbieter zurückgezogen haben. Mit dem Ergebnis, dass es Gemeinschaften gibt, die keinen oder nur einen Anbieter von Versicherungen haben. Dabei hätten sich die zahlreichen Versicherer in ihren Angeboten im offenen Wettbewerb überbieten und so den Versicherungswilligen den besten möglichen Preis anbieten sollen. Oder so, wie es möglicherweise mit den Plänen von Google Fiber, die Welt zu retten, bald gehen kann: Das Unternehmen hat angekündigt, die Belegschaft zu halbieren, und seine ambitionierten Ziele, die ganze Welt mit Internet auszustatten, etwas heruntergeschraubt. Offenbar sei es schwieriger, Netzinfrastruktur aufzubauen, als Onlinewerbung zu verkaufen, bemerkt schnippisch Morozov.

Während die öffentliche Verwaltung fieberhaft Dienstleistungen digitalisiert, ist das Verteidigungsministerium den anderen schon einen Schritt voraus. In einem langwierigen Prozess wird die früher outgesourcte IT-Sparte wieder ins Ministerium geholt. Der Prozess soll in diesem Jahr abgeschlossen werden. Noch Anfang des Jahres hat Dr. Gundbert Scherf, Beauftragter Strategische Steuerung Rüstung im Ministerium der Verteidigung, betont, dass Informationstechnologie für die Bundeswehr Kernressource und Big Data wich­tig für eine bes­sere Aufklärung sei. „Digitalisierung der Streitkräfte ist ein dis­rup­ti­ver Trend“, sagte Scherf und be­stä­tigte da­mit wie­der mal die Vermutung der Experten, es hätte sich auch bei der Bundeswehr her­um­ge­spro­chen, dass durch die Digitalisierung und welt­weite Vernetzung neue Möglichkeiten der Kriegsführung ent­stan­den seien. Klar ist aber auch, dass im Fall eines Cyberkrieges die Staaten am besten da stehen, die eine vom Netz unabhängige, antiquiert-analoge Infrastruktur und kinetische Waffen haben und daher nicht übers Internet angegriffen werden. Wirklich disruptiv ist deshalb ein anderer Trend: die Entnetzung. Der Antitrend zur Digitalisierung, gewissermaßen. Eine Option, bei der ganze Services und Prozesse aus dem Netz wieder herausgenommen werden, um ihre Abhängigkeit von den für Cyberangriffe, -spionage und -sabotage anfälligen Netzen zu kappen.

Als in der öffentlichen Anhörung im Verteidigungsausschuss im Februar Sachverständige zum Thema Entnetzung befragt wurden, wussten einige von ihnen nicht um die Bedeutung des Begriffs. Ganz neu ist die Idee dennoch nicht: In der Internet-Enquete 2010–2013 wurde die sogenannte Trennung von Systemen für kritische Prozesse und Infrastrukturen gefordert. Der Empfehlung der Kommission nach kann dies entweder „in einer Trennung von Systemen komplexer Informationsstrukturen, der physischen Trennung von eindeutig identifizierten ‚kritischen‘ und ‚weniger kritischen‘ Informationsstrukturen oder dem teilweisen Rückgriff auf einfachere Steuerungs- und Informationsstrukturen geschehen“. Auch die Schaffung eines vom Internet unabhängigen Netzes für die kritischen Infrastrukturen nach dem US-Vorbild wurde in Betracht gezogen. Einer vollständigen Entnetzung standen die Kommissionsmitglieder jedoch skeptisch gegenüber: „Obwohl die Trennung von Systemen eine Option sein kann, bestehen aus Sicht der Enquetekommission erhebliche Bedenken gegen eine komplette Trennung vom Netz.“ Dies schütze nicht vor Angriffen durch die Innentäter und erschwere das Einspielen von Sicherheitspatches.

Der Beitrag erschien zuerst bei The European.

Aleksandra Sowa

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Dozentin, Fachbuchautorin (u.a. "Management der Informationssicherheit", "IT-Revision, IT-Audit und IT-Compliance"). Im Dietz-Verlag erschienen: "Digital Politics - so verändert das Netz die Politik". Hier äußert sie ihre private Meinung. #Foto by Mark Bollhorst (mark-bollhorst.de)

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Ein Kommentar

  1. Elisabeth Dorothea Lutz sagt:

    Moin meine SPD
    Bin mit der Gasmaske nicht so glücklich.
    Der Rest istno.k

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