Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

24. August 2016

Buchtipp
Wollen wir wirklich frei sein?

Foto: tetedelacourse - CC BY-SA 2.0

„Der Mensch ist ein Luxuswesen“[1], schreibt Byung-Chul Han in Psychopolitik und meint mit Luxus eine Lebensform, die frei von Notwendigkeit ist. Es verwundert daher nicht, dass das Internet auf die Menschen eine so große Anziehungskraft ausübt, wurde das digitale Netz doch ursprünglich als Medium unbegrenzter Freiheit gefeiert: „Der erste Werbeslogan von Microsoft ‚Where do you want to go today?‘ suggerierte die grenzenlose Freiheit und Mobilität im Web.“ Doch „[d]iese anfängliche Euphorie erweist sich heute als eine Illusion“.

Die Freiheit, so Han, steckt derzeit in einer tiefen Krise. Psychische Erkrankungen wie Depression oder Burn-out sind Ausdruck dieser Krise, „[sie] sind ein pathologisches Zeichen, dass heute die Freiheit vielfach in Zwang umschlägt“[2]. Schuld daran sei der Neoliberalismus – eine „Mutationsform des Kapitalismus“ –, der ein sehr effizientes und intelligentes System ist, um die Freiheit auszubeuten. Ausgebeutet wird dabei alles, was zu den Ausdruckformen der Freiheit gehört, darunter die Emotion, das Spiel oder die menschliche Kommunikation. „Es ist nicht effizient, jemanden gegen seinen Willen auszubeuten“, beobachtet Han. „Bei der Fremdausbeutung fällt die Beute sehr gering aus. Erst die Ausbeutung der Freiheit erzeugt die höchste Ausbeute.“[3]

Das neoliberale Regime verwandelt Fremdausbeutung in Selbstausbeutung, „von der alle ‚Klassen‘ betroffen sind“. Das ist möglich, weil es aus dem Arbeitnehmer einen Unternehmer formt: „Nicht die kommunistische Revolution, sondern der Neoliberalismus beseitigt die fremdausgebeutete Arbeiterklasse“, so Han, „jeder ist heute ein selbstausbeutender Arbeiter seines eigenen Unternehmens.[4] Jeder ist Herr und Knecht in einer Person. Und der Klassenkampf mutiert zu einem inneren Kampf mit sich selbst.

PsychopolitikDoch warum ändert sich angesichts dieser Entwicklungen der industrielle Kapitalismus nun „zum Neoliberalismus und Finanzkapitalismus mit postindustrieller, immaterieller Produktionsweise“[5], statt, wie es Marx vorhergesagt hat, in Kommunismus umzuschlagen? Daran sei gerade die politische Linke nicht unschuldig, indem sie „die Arbeit besonders verklärt habe“[6]. Nicht die Arbeit selbst gelte als Skandal, sondern ihre Ausbeutung durch das Kapital. „Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft“, zitiert Han aus dem Manifest der Arbeit der Gruppe Krisis, „der Leichnam der Arbeit“[7]. Deswegen war stets das Programm der Arbeiterparteien die Befreiung der Arbeit – und nicht etwa die Befreiung von der Arbeit. Dort, „wo das Arbeiten durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist“ und aufhört, bricht kein „Reich der Freiheit“[8] an. Mehr noch: „[W]er in der neoliberalen Leistungsgesellschaft scheitert, macht sich selbst dafür verantwortlich und schämt sich, statt die Gesellschaft oder das System in Frage zu stellen.“.[9] Im System der Fremdausbeutung sei es möglich, „dass die Ausgebeuteten sich solidarisieren und sich gemeinsam gegen den Ausbeuter erheben“[10] – nicht so im System der Selbstausbeutung, das die soziale Revolution unmöglich macht, so Han. Die Aufhebung der Klassen, der Unterscheidung zwischen dem Ausbeuter und dem Ausgebeuteten, das Fehlen repressiver Herrschaftsverhältnisse – all das führt dazu, dass sich kein politisches Wir formiert, „das zu einem gemeinsamen Handeln fähig wäre“[11]. Das Gegenteil davon tritt ein: „Im neoliberalen Regime der Selbstausbeutung richtet man die Aggression […] gegen sich selbst“, stellt Han fest, „diese Autoaggressivität macht den Ausgebeuteten nicht zum Revolutionär, sondern zum Depressiven.“[12]

 

[1] Han, Byung-Chul (2014) Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. S. Fischer Wissenschaft, S. 72. [2] Ebenda, S. 10. [3] Ebenda, S. 11. [4] Ebenda, S. 14. [5] Ebenda. [6] Ebenda, S. 70. [7] Ebenda. [8] Ebenda, S. 71. [9] Ebenda, S. 16. [10] Ebenda, S. 16. [11] Ebenda, S. 15. [12] Ebenda, S. 16.

 

Byung-Chul Han. 2014. Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. Frankfurt: S. Fischer Wissenschaft.

Aleksandra Sowa

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Dozentin, Fachbuchautorin (u.a. "Management der Informationssicherheit", "IT-Revision, IT-Audit und IT-Compliance"). Im Dietz-Verlag erschienen: "Digital Politics - so verändert das Netz die Politik". Hier äußert sie ihre private Meinung. #Foto by Mark Bollhorst (mark-bollhorst.de)

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