Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

21. Juli 2016

Informationsfreiheit
Der leise Tod der Informationsfreiheit in Schleswig-Holstein

Abnehmendes Licht

Er kommt ganz unschuldig daher, der Antrag der Fraktionen der CDU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen und der Abgeordneten des SSW zur „Änderung des Entwurfes eines Gesetzes zur Änderung des Informationszugangsgesetzes“ (Drucksache 18/4465). Dennoch hat er mediale Aufmerksamkeit verursacht (siehe Netzpolitik.org: Schleswig-Holstein: Parteien wollen mehr Transparenz von anderen und weniger von sich). Er betrifft die Frage, welche staatlichen Stellen bzw. besser gesagt welche Stellen nicht verpflichtet sind, einer Bürgerin oder einem Bürger auf Antrag Zugang zu den staatlichen Informationen und Akten gewähren zu müssen. Von dieser antragsabhängigen Informationspflicht soll der Landtag, „soweit er parlamentarische Aufgaben wahrnimmt“ ausgenommen werden. Das wäre eine Rolle rückwärts und der Einstieg in den Ausstieg bei der Informationsfreiheit für das Land Schleswig-Holstein.

Bedeutung der Informationsfreiheit

Aber von vorn: Eine der Errungenschaften moderner Demokratien und Rechtstaaten ist die Informationsfreiheit. Sie gewährt jeder und jedem einen voraussetzungslosen Anspruch auf Zugang zu staatlichen Informationen. § 3 des Informationszugangsgesetzes Schleswig-Holstein (IZG) regelt das deutlich:

Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf freien Zugang zu den Informationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt.“

Dieses und vergleichbare Gesetze im Bund und einigen anderen Bundesländern sollen die Demokratie und den Rechtstaat stärken. Neben der verfassungsmäßig garantierten parlamentarischen Kontrolle und der „nichtstaatlichen Kontrolle“ z.B. durch Medien und Presse wird dadurch ein dritter „watchdog“ installiert. Der Souverän, also das Volk, soll in die Lage versetzt werden, sich selbst durch den Zugang zu staatlichen Informationen ein Bild über die Entscheidungen und das Handeln staatlicher Stellen zu machen.

Der Schutz der Gesetzgebung

Allen ist allerdings eingängig, dass selbst in einem demokratischen Rechtsstaat 100% Transparenz nicht gewährleistet werden kann und auch nicht sollte. Es gibt selbstverständlich Gründe, die Vertraulichkeit von staatlichen Informationen zu wahren. Dazu gehört z.B. der Schutz personenbezogener Daten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse oder sicherheitsrelevante Informationen. Die Pflicht zur Auskunfterteilung ist in der Regel auch dann beschränkt, wenn dadurch ein laufender Entscheidungsprozesses geschützt werden soll. Daran ist nichts auszusetzen.

§ 2 Absatz 4 des IZG sah daher zum Schutz des unmittelbaren Gesetzgebungsprozesses vor, dass der Landtag „im Rahmen seiner Gesetzgebungstätigkeit“ und die obersten Landesbehörden, soweit sie „im Rahmen der Gesetzgebungsverfahren oder beim Erlass von Rechtsverordnungentätig werden keine informationspflichtigen Stellen sind. Juristisch ist das kniffelig formuliert und führte in der Praxis immer wieder zu Diskussionen. In der reinen Theorie sollten die genannten Stellen im Sinne einer effektiven staatlichen Transparenz grundsätzlich auskunftspflichtig sein. Der Anspruch besteht ausnahmsweise nicht, wenn dieser sich auf Informationen im Hinblick auf den unmittelbaren Gesetzgebungsprozess bezieht. Nach Abschluss des Gesetzgebungsprozesses ist allerdings der Zugang zu den Informationen zu gewähren.

Das Parlament und die funktionale Bedeutung des wissenschaftlichen Dienstes

Die Diskussion vor allem auf Bundesebene im Hinblick auf die Bundestagsverwaltung war, unter welchen Umständen eine Parlamentsverwaltung (also nicht das eigentliche Parlament mit Abgeordneten und Fraktionen) konkret im „Rahmen der Gesetzgebung“ tätig ist. Der Streit entzündete sich an der Tätigkeit der wissenschaftlichen Dienste. Dazu muss man wissen, dass einige Parlamente den Fraktionen und Abgeordneten die Möglichkeit einräumen, wissenschaftliche Expertisen und Gutachten von entsprechenden Expertinnen und Experten erstellen zu lassen. In Schleswig-Holstein übernimmt diese Aufgabe der Wissenschaftliche Dienst.

Im letzten Jahr entschied das Bundesverwaltungsgericht über den Zugang zu den Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Das Gericht verpflichtete ihn, die Zuarbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes zur mandatsbezogenen Unterstützung von Abgeordneten auf Antrag herauszugeben. Die Konferenz der Informationsfreiheitsbeauftragten des Bundes und der Länder begrüßte das Urteil im April diesen Jahres und lobte die mittlerweile proaktive Veröffentlichung der Gutachten.

Transparentes Parlament

Einen vollkommen anderen Weg geht nun offensichtlich die Regierungskoalition des Schleswig-Holsteinischen Landtages mit freundlicher Unterstützung der konservativen Opposition. Sie will den Zugang Informationen im Hinblick auf „die Gesetzgebung, Kontrolle der Landesregierung, Wahl der Ministerpräsidentin oder des Ministerpräsidenten, Behandlung öffentlicher Angelegenheiten, Behandlung von Petitionen und Immunitätsangelegenheiten, Wahlprüfung sowie Dienstleistungen zur inhaltlichen Unterstützung der Fraktionsarbeit“ vom allgemeinen Anspruch ausnehmen. Explizit sollen auch die Ergebnisse der gutachterliche Tätigkeit des Wissenschaftlichen Dienstes für Abgeordnete und Fraktionen ausgenommen sein. Während also der Trend zu einer proaktiven Veröffentlichung von Daten geht (siehe auch das Hamburgische Transparenzgesetz) will sich das Schleswig-Holsteinische Parlament einigeln.

Das ist aus informationsfreiheitsrechtlicher und demokratietheoretischer Sicht ein Skandal. Denn unwillkürlich stellt sich die Frage, was denn übrig bleibt an Informationsfreiheit im Hinblick auf den Landtag. Denn die Aufgaben der Verwaltung des Landtages ist maßgeblich die Unterstützung der Fraktionen und Abgeordneten in ihren verfassungsmäßigen Aufgaben. Aus welchen Gründen soll bei der Behandlung „öffentlicher Angelegenheiten“ Vertraulichkeit herrschen? Die Sache ist doch bereits dem Wortlaut nach „öffentlich“ ? Warum verschanzt sich das Parlament als Hüter der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hinter informationellen Mauern?

Das Parlament ist Hirn und Herz des demokratischen Rechtsstaats. Die wesentlichen staatlichen Entscheidungen, so hat es mal das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt, müssen vom Parlament getroffen werden. Bei dieser Tätigkeit ist die Verwaltung des Parlaments von maßgeblicher Bedeutung. Wer einmal in der Verwaltung gleichwelcher Organisation gearbeitet hat, kennt deren beachtlichen Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Indirekt verweisen die Fraktionen in ihrem Antrag darauf. Denn sie stellen die zentrale Bedeutung der Tätigkeit des Wissenschaftlichen Dienstes des Landtages heraus. Danach wird im Schleswig- Holsteinischen Landtag der Wissenschaftliche Dienst regelmäßig von den Fraktionen beauftragt, die fraktionsspezifische politische Arbeitsschwerpunkte einer rechtlichen Prüfung unterzogen wissen wollen.“

Die Vision der Freiheit von der Informationsfreiheit

Nun wäre es allerdings schon interessant erfahren zu können, ob und in welchem Umfang die Tätigkeit der Verwaltung des Landtages Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung der Fraktionen hat.  Ja richtig – dabei geht es um die Kontrolle der Tätigkeit der Fraktionen und Abgeordneten.  Ja richtig – der Souverän soll ein Recht haben zu erfahren, welche politische Planungen Fraktionen haben. Die „Angst“, dass „allein aus Fragestellung und Inhalt eines Gutachtens Erkenntnisse zu internen Überlegungen, Planungen und Strategien einzelner Fraktionen oder der parlamentarischen Opposition gewonnen werden“ können ist berechtigt.  Denn es ist eine demokratisch notwendige „Angst“. In einer Demokratie geht es nicht darum, mit taktischen Manöver und Ausnutzung parlamentarischer Finessen und Geschäftsordnungslücken,  Entscheidungen „durchzubringen“. Das Parlament ist ein Forum, in dem um die besten Ideen öffentlich gestritten werden soll und muss. Da ist kein Platz für Geheimniskrämerei. Das mag naiv klingen. Ist es allerdings nicht. In der öffentlichen Diskussion ist allenthalben von einem Demokratiedefizit zu lesen und zu hören. Unsere Demokratie lebt davon, die Mehrheit von einer Idee, einem Programm oder der Verfolgung einer Vision zu politisch zu überzeugen.

Eine solche „Vision“ liegt nun vor uns. Die derzeit gewählten Abgeordneten wollen verhindern, dass niemand ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen kann, auch und gerade wenn es um die Ausübung ihrer zentralen verfassungsmäßigen Aufgaben geht. Sie werden dafür wohl – ganz ohne Tricks und Finessen – eine Mehrheit bekommen. Sie werden sich allerdings wieder einmal mit dem Vorwurf auseinandersetzen müssen, dass hier die „politische Elite“ sich gegen „das Volk da draußen“ abschottet. Leider kommt man nicht umhin, diesmal einen solchen Vorwurf nicht als reine Polemik abzutun.

Die Lösung – eine Abwägungsklausel

Und was, wenn es nun doch einmal wirklich notwendig ist, die Arbeit und Entscheidungsfindung des Parlamentes vor einer unzulässigen Beeinträchtigung durch den Missbrauch des freien Zugangs zu Informationen zu schützen? Dazu müsste lediglich im Gesetz eine Ausnahmeklausel integriert werden. Sie könnte die Ablehnung eines Antrags wegen Schutzes des Gesetzgebungsprozesses im Einzelfall und mit entsprechender Begründung zulassen. Das mag vielleicht Mehraufwand bedeuten, aber es stärkt das Vertrauen der Wählerschaft in die Tätigkeit des Parlaments und lässt die jetzt geplante Regel zur Ausnahme werden.

Schleswig-Holstein war einmal Vorreiter in Sachen Informationsfreiheit. Mit diesem Änderungsantrag verabschiedet es sich nun endgültig von dieser Rolle. Ganz nebenbei verstoßen Bündnis90/Die Grünen, SSW und SPD auch noch gegen ihren Koalitionsvertrag. Denn der sah vor: Zu einem bürgerfreundlichen Land gehört, dass die Behörden die Grundlagen ihrer Entscheidungen und Handlungen offen legen und erklären. Unser Grundsatz lautet, dass der Zugang zu Informationen zur Regel und die Verweigerung der Veröffentlichung zur Ausnahme werden soll. Wir wollen Schleswig-Holstein gemeinsam mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz deutschlandweit zum Vorbild für eine aktive Informationsfreiheit entwickeln.

Es bleibt zu hoffen, dass sich ausreichend Abgeordnete finden, um eine namentliche Abstimmung zu verlangen. Dann wird wenigstens Transparenz darüber hergestellt, wer an der Abschaffung eines offenen Parlaments mitgewirkt hat.

Moritz Karg

Moritz Karg, ist Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises Digitale Gesellschaft des SPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein und arbeitet als Referent für Medien, Telemedien und E-Government in der Dienststelle des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Alle Meinungsäußerungen sind privat.

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2 Kommentare

  1. Schöner Artikel, der mir in großen Teilen aus der Seele spricht. Ich befürchte allerdings, dass dieser Plan kaum noch zu stoppen ist. Und auch für eine namentliche Abstimmung sehe ich schwarz, denn die Piratenfraktion besteht nur aus 6 Abgeordneten und 18 sind nötig, soviel ich weiß.

    Und diese 6 Widerständler hätte man durchaus auch hier erwähnen können, denn zu einem Streit um die besten Ideen gehört auch, dass man in der Lage ist die beste Idee, natürlich nach Austausch und Abwägung der Argumente, zu übernehmen. Mir ist schon klar, dass z.B. unterschiedliche Prioritäten zu einer unterschiedlichen Auffassung führen können, was denn das Beste ist.

    Es ist vermutlich Utopie, dass Fraktionen andere neidlos loben können und deren Idee oder Teilansätze gerne – zum Wohle der Allgemeinheit – übernehmen. Ein solches Vorgehen wird nicht nur von Koalitionsvereinbarungen erschwert, sondern ist vielfach der Tatsache geschuldet, dass Parteien nun mal um jede Stimme kämpfen. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass die Wähler eine solche Größe anerkennen würden. Wirklich funktionieren kann es allerdings nur, wenn alle Parteien diesen Umgang miteinander pflegen würden. Wenn eine Partei davon abweicht, könnte das Ganze sofort wieder kippen.

    Ich hoffe, dass ich bei meiner Exkursion durch meine Tagträumereien niemanden gelangweilt habe. 🙂

  2. Moritz Karg sagt:

    Vielen Dank für den Kommentar. Es war nicht meine Absicht den gesamten Gesetzgesbungsprozess zu kommentieren. Da hätten die Piraten dann zweifelsohne eine Rolle spielen müssen. Es ging mir ganz konkret und singulär um eben diesen Änderungsantrag. Utopie hin oder her, m.E. passt dieser nicht zur Idee eines transparenten Staates und der doch von allen Parteien immer wieder geforderten stärkeren Beteiligung der Wählerschaft an die politischen Prozessen. Mit diesem Änderungsantrag wurde meine Tagträumerei eben auch empfindlich gestört.

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