Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

27. Juni 2017

Grundrechte/Veranstaltung
Schufa abschaffen!

Foto: Martin Abegglen - CC BY-SA 2.0

„Der digitale Fortschritt bringt uns voran“ – dieser Aussage ist zunächst nichts entgegenzusetzen. „Aber die gute digitale Gesellschaft ist mehr als Technik“, konzedierte das Kongressteam #DigiDemos der Friedrich-Ebert-Stiftung und lud zu einer Ausnahmeveranstaltung. Im Fokus des Tages: Wie kommt digitaler Wandel ALLEN Menschen zugute? Denn das Ziel des Fortschritts, um den Futurologen Stanislaw Lem zu zitieren, sei immer und allen voran der Mensch. Die Richtung, welche Kommerzialisierung des Internets und Ökonomisierung der Digitalisierung sowie der Plattform-Kapitalismus einschlagen, veranlasst heute viele Leser Lems zu der Vermutung, der Science-Fiction-Autor hätte offenbar vergessen, die Namen dieser (wenigen) Menschen zu erwähnen, denen der Fortschritt zugutekommen wird.

Das Ziel des Kongresses #DigiDemos besteht darin, dazu beizutragen, dass die Grundwerte der sozialen Demokratie – Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität – im digitalen Zeitalter Bedeutung haben.

Doch bevor Dr. Richard Barbrook im frühabendlichen Highlight dem Publikum erklärt, wie man im Wahlkampf das „Go Left!“ operationalisiert, wird noch viel und intensiv besprochen. Es wird erklärt und berichtet, es wird kokettiert und provoziert. Es wird herausgefordert und gefordert. Hier treffen Experten auf Interessierte, Politikwissenschaftler auf Politiker, Juristen auf Tekkies, Yuppies auf Digital Natives. Es knistert. Es knallt. Und manchmal blitzt es.

Wenn beispielsweise Paul Nemitz, Principal Advisor European Commission, fordert, dass persönliche Daten nicht als Wirtschaftsgüter behandelt werden. Daten seien das Öl der Zukunft, ja, aber nicht die persönlichen Daten. Hier gehe es nicht um Geschäftsmodelle, sondern um die Freiheit jedes Einzelnen. Wer sie aber kumuliert, könne sie auch manipulieren. Außerdem bräuchte Selbstbestimmung die Unterstützung durch Staat und Technologie. Deshalb solle man die Entwicklung von Technologie unterstützen, die der Rechtsdurchsetzung hilft. Sein Beispiel: Wenn man einen Löschantrag für die privaten Daten bei einem Unternehmen gestellt hat, dann sollte man auch in der Lage sein, mithilfe von Software, Apps, Suchmaschinen etc. zu prüfen, ob der Löschantrag effektiv durchgeführt wurde. Gesetze seien kein Auslaufmodell, so Nemitz, das Grundprinzip der Verantwortung müsse auch in der digitalen Welt gelten: Auch die Techunternehmen müssten sich an das Recht halten. Ebenso an das Steuerrecht.

Oder wenn Ulf Buermeyer, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte, sagt, die Auskunfteien sollten abgeschafft oder wenigstens stark reguliert werden. Schufa abschaffen! Es entspreche durchaus den sozialdemokratischen Solidaritätsprinzipien, dass die Reichen etwas an die Armen abgeben. Wenn man ohne Risikobewertung eines jeden Einzelnen mehr für ein Service zahlen muss, dann ist es immer noch gerechter, als wenn wegen eines schlechten Rankings ganze Existenzen vernichtet würden. Solidarität setze Nichtwissen voraus.

Laura-Kristine Krause, Leiterin des Democracy Lab, weiß, wenn sie ihren Vorschlag unterbreitet, dass das Thema schon oft diskutiert wurde, dennoch sie sagt es erneut: digitaler Ortsverein. Die Politik sollte mehr Mut zu Experimenten haben, Mut zum Scheitern. Prozesse werden nicht demokratischer, weil wir Digitalisierung nutzen, sagt sie.

Oder wenn Ulrich Kelber, MdB, klagt, man hätte in Europa noch keine Idee entwickelt, wie man mit der Plattformökonomie umgehe. Oder er eine Missbrauchsaufsicht für Algorithmen vorschlägt.

In dem Subtrack „Demokratie“ diskutieren dann u. a. Ulf Burmeyer und Thymian Bussemer, Mitglied der SPD-Grundwertekommission, darüber, ob man eigene Regeln für das Netz braucht: „Grundwerte und Grundrechte in der digitalen Demokratie“. Es handele sich um eine neue Sphäre, sagt Bussemer, dieser Raum müsse nun gestaltet werden. Das Recht auf Löschen und das Recht auf Zugang sollten dazugehören. Andererseits müssten die Regeln, die gelten, durchgesetzt werden, so Buermeyer. Wenn es um die Abwehr von Cyberangriffen geht, beispielsweise, sollten Hersteller in die Haftung genommen werden. Mängelhaftung. Datenschutz ist Freiheitsschutz, und dieser solle gestärkt werden. Die innere Sicherheit richte heute nur schwach den Fokus auf Prävention, dafür zu stark auf Repression, bemerkt Buermeyer. Nicht einmal zwei Tage später wird das neue Gesetz zur Onlinedurchsuchung und zum Einsatz von Staatstrojanern überraschend vom Bundestag beschlossen. Man möchte fast wie die Datenschutzbeauftragte Marit Hansen sagen: ein Gesetz, eingebracht wie ein Trojaner.

Im Liveblog aus dem Kongress #DigiDemos fasst Sabrina Greifenhofer im telegrafisch-twitterschen Still die Runde zu digitalen Grundwerten und Grundrechten zusammen:

#Demokratie #Netzregeln Gebote für die digitale Welt:

Datenschutz ist Freiheitsschutz.

Nichtwissen erhalten.

Zugang zum Netz stärken.

Technologie nicht als etwas Neuartiges betrachten.

Keine Unterschiede machen zwischen Online und Offline.

Erreichbare Ziele setzen.

Frei nach Dr. Thymian Bussemer, Mitglied der SPD-Grundwertekommission, Dr. Ulf Buermeyer, Richter am Berliner Verfassungsgericht, Dr. Aleksandra Sowa, SPD-Arbeitskreis Digitale Gesellschaft.

Der Moderator, Jochen Dahm, Leiter der Akademie für soziale Demokratie der FES, subsumiert das Ergebnis in nur einem treffenden Satz: „Paradox: Freiheitrechte müssen im Kontext der Digitalisierung durch und gegen den Staat durchgesetzt werden.“

Worum ging es auf #DigiDemos? Um Demokratie, Öffentlichkeit und Arbeit in einer digitalisierten Gesellschaft. Um neue Formen der gesellschaftlichen Verständigung und Teilhabe. Um Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten. Mit und gegen Querdenker, Vordenker oder Mitdenker.

„Arbeiten Sie mit an der guten digitalen Gesellschaft am 20. Juni 2017 in Berlin!“, schrieben die Organisatoren in der Einladung. Nun, die Arbeit geht weiter. Denn Demokratie – dies dürfte inzwischen den meisten bewusst geworden sein – ist harte Arbeit.

 

*Live-Blog zum Kongress #DigiDemos „Live im Netz“: https://www.fes.de/de/digidemos/live-im-netz/

**Mitschnitt aus #DigiDemos im YouTube-Kanal der Friedrich-Ebert-Stiftung: https://www.youtube.com/user/FESonline

***Videoaufzeichnung: „Eigene Regeln im Netz? Grundwerte und Grundrechte in der digitalen Demokratie (#Demokratie)“: https://www.fes.de/de/digidemos/livestream-3/

 

Aleksandra Sowa

Leitete zusammen mit dem deutschen Kryptologen Hans Dobbertin das Horst Görtz Institut für Sicherheit in der Informationstechnik. Dozentin, Fachbuchautorin (u.a. "Management der Informationssicherheit", "IT-Revision, IT-Audit und IT-Compliance"). Im Dietz-Verlag erschienen: "Digital Politics - so verändert das Netz die Politik". Hier äußert sie ihre private Meinung. #Foto by Mark Bollhorst (mark-bollhorst.de)

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