Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

18. Oktober 2012

Allgemein
Zum Ende des Mitgliederbegehrens gegen die Vorratsdatenspeicherung

In ein paar Tagen läuft die Frist für das Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung
aus.  Zur Zeit steht der Zähler bei 3100 Unterschriften und es sieht
nicht so aus, als ob die nötigen 48.500 über das Wochenende noch
vollgemacht werden. Der eine oder die andere hält das für Scheitern.
Aber es ist ein Scheitern mit Ansage, wenn man das Mitgliederbegehren
rein quantitativ bewertet. Die 48.500 sind nicht zu schaffen. Und es ist
nicht so, wie der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel in einer
Diskussion mit  Yasmina Banaszczuk, einer der beiden Initiatoren des
Begehrens, lakonisch behauptete: Man beschwert sich über das Verfahren,
wenn man die Unterschriften nicht zusammen bekommt. Das
Mitgliederbegehren ist als Beteiligungswerkzeug kaputt. Es wird niemals
funktionieren. Und das ist absehbar gewesen, als man es eingeführt hat.
Hier meine Abrechnung.

  1. Ich habe an einem Abend 50 Unterschriften gesammelt. Jede
    Unterschrift dauert eine Minute: Ich stell mich kurz vor und die
    meisten, die ich anspreche unterschreiben sofort. Das Eintragen der
    viele Daten dauert aber seine Zeit. Wie gesagt: WENN jemand
    unterschreibt, dauert es im Durchschnitt eine Minute.
  2. Für 48.500
    Unterschriften, würde ich alleine 48.500 Minuten benötigen. Das sind
    ca. 808 Stunden oder 34 Tage. 34 Tage, rund um die Uhr, eine Person und
    48.500 unterschriftswillige SPD-Mitglieder stehen hintereinander in
    einer Schlange.
  3. Das kann natürlich nicht nur eine Person machen.
    Wie viel Zeit bringt ein ehrenamtliches Mitglied für so eine Kampagne
    auf in den 3 Monaten, die man Zeit hat? 2 Stunden = eine
    Abendveranstaltung. Vielleicht 2-10 Stunden. Im Durchschnitt vielleicht 5
    Stunden. 808 Stunden in 5er-Pakete aufgeteilt sind 161.
  4. 161
    Leute müssen zu 1-5 Veranstaltungen gehen und Unterschriften sammeln.
    Das klingt so halbwegs machbar. ABER: Auf den Veranstaltungen müssen
    dann auch jeweils 120 SPD-Mitglieder in einer Reihe stehen und
    unterschreiben wollen. Wie gesagt: Ich habe 50 geschafft in 2 Stunden.
    In der Praxis geht es also höchstens halb so schnell = Doppelt so viele
    Leute werden benötigt: 322.
  5. Ich war nun der erste, der in Kiel
    gesammelt hat. Auf der nächsten Veranstaltung werde ich viele der Leute
    wieder treffen und die haben dann schon unterschrieben. Es wird im Laufe
    des Verfahrens immer schwerer werden, noch Leute zu finden, die noch
    nicht angesprochen wurden. Da kann man dann schnell 3-4 mal mehr Helfer
    benötigen, wenn weiterhin die Zeit für das Engagement pro Person gleich
    bleibt. Da gehen dann Leute 2 Stunden auf eine Veranstaltung und finden
    vielleicht nur noch 10 Leute, die nicht unterschrieben haben und das
    aber wollen. Nicht überall gibt es überhaupt Veranstaltungen, auf denen
    50+ Mitglieder gleichzeitig sind. Und plötzlich braucht man leicht 1000
    Helfern, die bereit sind, 2-10 Stunden für diese eine Kampagne zu geben.
  6. Gegenprobe:
    48.500 Unterschriften in 90 Tagen sind 538 Unterschriften JEDEN Tag.
    Wir müssten JEDEN Tag 10 Leute haben, die über 50 Unterschriften
    sammeln. Jeder dieser 10 Leute braucht unter idealen Bedingungen 2
    Stunden dafür. Bei durchschnittlich 5 Stunden Engagement im Rahmen der
    Kampagne, macht jeder 2,5 Tage. 90 Tage durch 2,5 Tage sind 36. 36 mal
    10 Personen sind 360. Das ist wieder ungefähr die Minimum-Zahl aus 4. …
  7. Für
    die Vorratsdatenspeicherung sind wir nun ganz gut bundesweit vernetzt
    und wir waren per Internet schnell in der Lage, viele Leute
    anzusprechen. Aber bis zu 1000 Leute finden, die 2-10 Stunden mit
    Unterschriftenlisten rumlaufen, ist unrealistisch. Und ich bezweifel, ob
    das eine weniger modern vernetzte Gruppe überhaupt schaffen könnte.

Gegen die Vorratsdatenspeicherung sind in einer öffentlichen und bequem via Internet unterschreibbaren Petition
"nur" 64.704 zusammen gekommen – wie soll man da offline und
parteiintern 48.500 bekommen? Weder die Vorratsdatenspeicherung noch
deren Ablehnung sind Kernthema der Sozialdemokratie. Der glorreiche
Sieg, den sich viele erhofft haben, ist das sicher nicht, aber das
Mitgliederbegehren hat tatsächlich einiges in der Partei bewegt: In
vielen Gliederungen gab es durch das Mitgliederbegehren Diskussionen
über die Vorratsdatenspeicherung und oft auch Beschlüsse dagegen.
Mittlerweile gibt es Beschlüsse gegen die Vorratsdatenspeicherung, die
fast die Hälfte der SPD-Mitglieder repräsentieren. Und soweit ich das in
der Diskussion verstanden habe, ist die Position der Bundestagsfraktion
inzwischen auf eine Minimal-Vorratsdatenspeicherung
zusammengeschrumpft: Telefonverbindungsdaten – Rechnungsdaten, die
ohnehin erhoben werden müssen – sollen in Ermittlungen wegen schwerer
Verbrechen genutzt werden können. Und vielleicht will man noch eine
IP-Speicherung. Das ist noch nicht ideal, aber es ist nicht mehr das
Überwachungsmonster, das zwischenzeitlich in der Diskussion war.

Das
Mitgliederbegehren als Beteiligungswerkzeug ist broke by design und
muss neu gedacht werden., wenn denn eine derartige Form der Beteiligung
gewünscht ist. Da ist es ein wenig billig von Sigmar Gabriel einfach
Yasmina Banaszczuk den Ball für Reformvorschläge zuzuspielen. Der
Parteivorstand ist per Beschluss in der Bringpflicht, eine Online-Lösung
zu erarbeiten.

Ich möchte mich gerne bei Dennis Morhardt und
Yasmina Banaszczuk für ihren großartigen Einsatz bedanken und dieser
Dank gilt auch allen, die geholfen haben, Unterschriften zu sammeln,
Diskussionen zu organisieren und Beschlüsse zu fassen:

"Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich." – Max Weber

Allen, die besser wussten, wie man es eigentlich hätte machen sollen, und die nicht geholfen haben:

"Haters gonna hate" – 3LW

Original bei rotstehtunsgut.de

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