Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

17. Februar 2014

Zukunftsgespräche
Digital Fabrication – Alles wird anders

3D-Druck: Komplexe Formen sind schon heute möglich
3D-Druck: Komplexe Formen sind schon heute möglich / CC BY-SA 2.0

Was passiert mit einer Gesellschaft, in der jeder fast alles herstellen kann? Digitale Fabrikation könnte das in Zukunft möglich machen. In seinem Gastbeitrag geht Dr. Ludger Eversmann der Frage nach, woher in Zukunft unser Wohlstand kommt.

Wie entsteht Wohlstand? Ein gewisser Karl Marx sagte dazu im ersten Satz seines „Kapitals“:

„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warenansammlung, die einzelne Ware als seine Elementarform.“

Nicht alles was Marx dachte erwies sich als richtig, aber dies schon: sobald die technischen Möglichkeiten da waren, verlagerte sich die Produktion des Reichtums von der Landwirtschaft und dem Handwerk über die Manufaktur in die Fabrik. Und in der Fabrik wurden Waren produziert: Waren, deren Handel und der damit verbunden Kapitalverkehr wurde zu den wichtigsten Bestimmungsfaktoren des Reichtums, oder des Wohlstands. Die Produktionsweise wurde immer komplexer, die Fabriken grösser, und die Arbeiten in ihnen wurden wissenschaftlich zerlegt und zergliedert, gemessen und durchorganisiert, um das Ziel – die Erzielung des größtmöglichen Outputs – möglichst schnell und effizient zu erreichen .

Während die Werkstatt des vorkapitalistischen Handwerksmeisters so klein war, dass sie in seinem Haushalt unterzubringen war, wurde die maschinelle Ausstattung einer Fabrik bald so teuer, dass es sich nur Menschen mit sehr viel Geld leisten konnten. Die waren daher daran interessiert, dass dieses große, eingesetzte Kapital möglichst bald Gewinn abwarf. Und je mehr sich diese auf Technik und umfangreichen Maschineneinsatz gestützte Produktionsweise durchsetzte, nahm das Drama des Kapitals, der Klassengegensätze, der Ausbeutung, der verlängerten Arbeitszeiten seinen Lauf. Und Marx rechnete – wie man weiss – mit einem unabwendbar krisenhaften Verlauf.

Es entstanden aber später auch Bewegungen, die die Interessen der arbeitenden Bevölkerung durchsetzten; die Lohnerhöhungen erkämpften, die Arbeitszeiten wieder regulierten und herabsetzten, Urlaubs- und Bildungszeiten festlegten; die für eine Sozialgesetzgebung kämpften und die Lage der arbeitenden Bevölkerung insgesamt erheblich verbesserten. In den „goldenen Jahren“ (teilweise der Sozialdemokratie) zwischen 1950 und 1975 ist ein Maß des Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit erreicht worden, das seit dem nicht mehr übertroffen werden konnte. Weiterer Wohlstandszuwachs, erreicht durch technischen Fortschritt und dadurch erreichte Steigerungen der Arbeitsproduktivität, hätte von da an, proportional verteilt auf Kapital und Arbeit, im gleichen Maß fortschreiten können. Aber es kam anders: Das Wachstum der kapitalistischen Gesellschaften ging zurück, obwohl der technische Fortschritt sich kräftig entwickelte.

Die Grenzen des Wachstums

In den 1970er Jahren wurde zum ersten Mal vor den Folgen des Wachstums gewarnt. Auf der einen Seite wurden die äußeren Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums erkennbar: Sowohl mit Schadstoffeinträgen in die Umwelt als auch mit Rohstoffen stieß es an Grenzen. Auf der anderen Seite tauchten interne Grenzen des Wachstums auf: Wie schon John Maynard Keynes in den 1930er Jahren erkannte, war bei zunehmendem Fortschritt mit einer Verlangsamung der Wachstumsdynamik zu rechnen, weil die Bedürfnisse der Menschen an Grenzen der Sättigung stoßen werden. Keynes nahm an, dass die Menschen mit zunehmendem Einkommen eher sparen, statt zu konsumieren – er nannte dies das „fundamentalpsychologische Gesetz“. Und wenn wir einmal einen Blick auf die aktuell diskutierten Fälle von Steuerbetrug werfen, erkennen wir: wer Geld für alles Notwendige und darüberhinaus zur Verfügung hat, weiß mit dem vielen Geld nichts Besseres anzufangen als zu versuchen, aus diesem Geld eben noch mehr Geld zu machen. Jedenfalls wird es nicht ausgegeben! Und dann gibt es allerhand rationalisierende Erklärungen: Das sei für die Alterssicherung oder zur Absicherung oder für die Kinder, aber – das Geld ist da, wird vor der Steuer versteckt und soll sich einfach möglichst kräftig vermehren.

Nur die Reichen werden noch reicher

Aber auch durchschnittliche Familien spielen mit: Ab einer bestimmten Einkommenshöhe gehört es zum guten Ton, auch ein wenig bei Investments und Renditen mitreden zu können. Der Anteil des zur Verfügung stehenden Einkommens, das verkonsumiert wird sinkt proportional, und die Sparguthaben steigen in schwindelerregende Höhen. Deswegen rechnet eine Reihe namhafter Ökonomen mit einer lang – oder gar ewig – anhaltenden Phase der wirtschaftlichen Stagnation: weil zu viel gespart, und zu wenig investiert wird. Um zurückzukommen auf Marx‘ Begriff des Reichtums: In den letzten Jahren hat sich die globale Wirtschaft so entwickelt, dass nur noch die Geldvermögen grösser werden. Marx würde sagen, dass die Entwicklung der „ungeheuren Warenansammlung“ im Verhältnis zur ungeheuren Kapitalansammlung stagniert. Real nimmt der Wohlstand nicht mehr zu – er sammelt sich nur noch auf den Konten und Depots der Reichen und Superreichen.

Wir stehen also nun vor der Herausforderung, dass Wohlstand nachhaltig und spürbar geschaffen, erhalten und gerecht verteilt werden muss – so, dass es tatsächlich Wohlstand für alle ist. Die Geschichte des Kapitalismus begann mit der massenhaften Warenproduktion; die „ungeheure Warenansammlung“ ist inzwische dermaßen gewachsen, dass eine weitere Vergrößerung keine Zunahme von Wohlstand mehr bedeuten kann.

Das Wachstum und seine Alternativen

Nun wird in den vergangenen Jahren über eine Abkehr vom Wachstum diskutiert. Nur gibt es keine Person, kein Gremium und keine Institution, die das so einfach entscheiden könnte. Karl Marx sagte dazu: „Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich subjektiv auch über sie erheben mag.“ – Mit anderen Worten: Solange wir eine Gesellschaft sind, deren Reichtum in der kapitalabhängigen und kapitalbildenden Produktion von Waren wurzelt, können sich die einzelnen Menschen nur wenig erheben über diese Verhältnisse. Und so lange sind einzelne Personen und Institutionen nicht in Gänze dafür verantwortlich zu machen. Ein fundamentale Änderung funktioniert also nicht ohne eine andere Weise, den Reichtum zu erzeugen.

Alternative A: Der historische Real-Sozialismus

Alle „real-sozialistischen“ Versuche sind an dieser Aufgabe gescheitert. Im frühen Kapitalismus war es die Technik, die den Umschwung in eine neue Gesellschaftsformation auslöste. Und man könnte meinen, es seien noch heute Computer, Internet und Robotik, die die erhoffte Veränderung verheißen – Die „Maschinen, die uns ersetzen„, wie etwa ein vor kurzem dazu erschienenes Buch deutlich machen wollte. Diese Maschinen aber ändern nichts an der Warenproduktion. Sie produzieren weiterhin Waren – nur eben mit immer weniger Mithilfe von Menschen. Karl Marx sah das voraus: Die Maschinen würden irgendwann nahezu vollständig den Menschen im Produktionsprozess ersetzen, und damit auch das variable Kapital vollkommen durch das fixe Maschinenkapital ersetzen. Das variable Menschenkapital und fixe Maschinenkapital stünden sich eines Tages kooperationsunfähig gegenüber, und die warenproduzierenden, total automatisierten Kapitalbetriebe fänden keinen Absatz, weil ihre potentiellen Konsumenten alle ohne Beschäftigung und ohne Einkommen sind.

Man könnte nun diese Betriebe „vergesellschaften“- dann allerdings produzieren sie immer noch Waren, also Produkte zum Verkauf auf Märkten. Es war der große und tragische Trugschluss der realsozialistischen Experimente, zu glauben dass das Bewusstsein darüber entscheide, ob Produkte Waren sind oder nicht. Das aber hängt schlicht davon ab, ob sie getauscht werden müssen, oder nicht! Wenn ein Betrieb Schuhe herstellt, müssen die Schuhe verkauft werden, damit die Mitarbeiter die Möglichkeit bekommen, von ihrer Arbeit zu leben – denn sie brauchen zum Leben mehr als nur Schuhe. Sie befinden sich in einer hoch arbeitsteiligen Arbeitsgesellschaft, in der die Arbeit des einen gegen die des anderen getauscht werden muss, am einfachsten eben gegen Geld Und auch mit Verstaatlichung kommt man nicht raus aus dem Tausch, den Märkten und dem Kapitalismus – das sollte die Geschichte hinreichend gelehrt haben.

Alternative B: Die moderne Subsistenzwirtschaft

Wenn man einmal in der Entwicklungsgeschichte der Ökonomien zurückschaut, so sieht man viele Waren produzierende Gesellschaften. Unter den bekannten Hochkulturen war nur die klassische griechische Ökonomie eine Ausnahme: deren tragendes Element war der möglichst autarke bäuerliche Haushalt – der „Oikos“. Im Kern war diese Ökonomie ein loser Verbund aus vielen landwirtschaftlichen Haushalten, die alle Bedürfnisse aus eigener Arbeit decken konnten. Gelegentlich wurde mit den Nachbarn getauscht, wenn der eine etwas mehr von dem produziert hatte, was der andere brauchen konnte. Um mit dieser Produktionsweise dennoch ein hoch-kulturell reiches und entbehrungsarmes Leben mit einem hohen Anteil auch an geistiger kultureller Betätigung führen zu können, hatte man sich bekanntlich die Unterstützung von Sklaven gesichert, mit Hilfe militärischer Interventionen, und philosophischer argumentativer Nachhilfe („Sklaven von Natur aus“, Aristoteles).

Sklaverei kann nun aber heute nicht mehr die Lösung sein: wir können uns bei den alten Griechen also höchstens abgucken, dass man auf Warenproduktion verzichten kann, wenn der Haushalt seinen Bedarf an Produkten selbst decken kann. Das ist aber bei unserem heutigen Anspruchsniveau ausgeschlossen – es sein denn, es gäbe eine Fabrikationsmaschine, die so klein und so billig ist, dass sie jeden Haushalt passt, und die dennoch möglichst (fast) alles herstellen kann, was ein Haushalt heute braucht.

Die warenproduzierende kapitalistische Gesellschaft wäre also offensichtlich genau dann überwunden, wenn es statt der großen Fabriken universale Kleinfabriken gäbe, die also heute einen Fußball, dann einen Fernsehsessel, dann eine Tischlampe und dann eine Zahnbürste produzieren können. Und dies alles zu vertretbaren Energie- und Rohstoffkosten – Selbstherstellen müsste billiger sein als Kaufen. Und diese Dinge müssten dennoch genauso gut sein, oder sogar besser.

Der Star Trek Replikator als echte Vision

Klar gibt es so eine Universalfabrik noch nicht! Aber die Industriegesellschaft hat sich dahin auf den Weg gemacht. Ein Vorläufer davon sind die 3D-Drucker – die entwickeln sich gegenwärtig sehr stürmisch, mit Wachstumsraten im hoch zweistelligen Bereich. Und sie können schon erstaunlich viel. Industrielle 3D-Drucker können heute schon verschiedene Materialien in einem Arbeitsgang verwenden, und so zum Beispiel richtig taugliche Schuhe produzieren, oder künstliche Hüftgelenke, oder Zahnersatz, oder Flugzeugersatzteile.

Aber 3D-Drucker sind erst der Anfang. Der wissenschaftliche Pionier auf diesem Gebiet, der Physiker und Informatiker Neil Gershenfeld zum Beispiel beschreibt den Star Trek Replicator aus der Science Fiction als seine Vision: Eine Maschine, die im 3-Dimensionalen ebenso universal verwendbar ist, wie der Universalrechner, der Computer, im 2-Dimensionalen. Seine Vision geht dahin, nicht mit natürlichen oder „analogen“ Materialien zu arbeiten, also zum Beispiel mit Plastik, wie dies die meisten 3D-Drucker heute noch tun, sondern mit „digitalen“ Materialien, teilweise auch winzig klein und in molekularem Maßstab, und deren Eigenschaften sich dann aus „Assemblierungen“ von verschiedenen Kompositionen dieser Materialien ergeben. Es entstehen dann Materialien mit all den benötigten Eigenschaften, um komplett funktionierende Geräte, Maschinen oder Objekte herzustellen. So soll es auch möglich sein, größere Objekte herzustellen, oder auch Objekte aus natürlichen Materialien, oder aus einer Kombination von allem. Mit anderen Worten: es ist das Ziel der „Digitalen Fabrikation“, möglichst universal, „almost anything, anytime, anywhere“ herstellen zu können, auf einer kleinen, billigen, sparsamen Maschine, die möglichst so leistungsfähig sein soll, dass der Konsum von Fabrik-Ware immer weiter zurückgehen kann, und dass auf ihn am Ende möglichst komplett verzichtet werden kann.

Weniger Waren = Weniger Kapital

So, wie am Anfang des Kapitalismus, nach Erfindung der ersten Dampfmaschine und des ersten dampfgetriebenen Webstuhls noch nicht gleich übersehen werden konnte, was sich da abzeichnet, welchen Weg es nehmen wird und wie es eines Tages möglicherweise auch enden wird, ist heute nicht klar zu übersehen, was es in diesem Sinne mit der „Digitalen Fabrikation“ auf sich hat. Es entsteht eine neue Wissenschaft, und diese Technologie befindet sich heute noch in den Kinderschuhen.

Wir wissen noch nicht, wo die Grenzen dieser Technologie sein mögen, wie ihr Entwicklungsverlauf sein wird, wie lange es dauern wird, wann welche Etappen möglicherweise erreicht werden können, und wo möglicherweise auch unüberwindliche Hindernisse auftauchen werden. Aber die prinzipielle Wirkungsweise kann nur die sein: mit jedem Produkt, das auf diese Weise zum Vorteil seiner Anwender, Nutzer und Besitzer hergestellt werden wird, wird die Masse, der Umfang und die Macht des weltweiten Kapitals abnehmen. So wie am Beginn des Kapitalismus mit jeder einzelnen verkauften Ware aus einer Fabrik die Masse, der Umfang und die Macht des Kapitals zunahmen, entsteht nun eine neue Produktionsweise: Sie birgt das Potenzial in sich, die Macht des Kapitals wieder zu brechen. Und sie dem Menschen wieder zurück zu geben.

Zum Schluss noch ein weiterer Satz von Marx: „Auch wenn eine Gesellschaft dem Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist – und es ist der letzte Endzweck dieses Werks, das ökonomische Bewegungsgesetz der modernen Gesellschaft zu enthüllen –, kann sie naturgemäße Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren. Aber sie kann die Geburtswehen abkürzen und mildern.“ Die Entwicklung der Produktionstechnologie könnte nun in der Tat den Eindruck erwecken, als sei sie erst jetzt – mit Erreichen dieser Fähigkeit, Güter am Ort der Konsumtion zu produzieren, die damit dann keine Waren mehr sind bzw. sein müssen – in der Lage, eine neue gesellschaftliche Entwicklungsphase zu ermöglichen. Dass es eine solche Technologie sein würde, dass es eine solche Technologie sein müsste – das konnte Marx in Zeiten der Erfindung der Elektrizität, des Dampfmaschine und des Dampfhammers unmöglich voraus ahnen. Umso mehr wäre diese Einsicht zu beherzigen gewesen, dass man „Entwicklungsphasen weder überspringen noch wegdekretieren“ kann. Dass dies dennoch versucht worden ist, hat großes Leid in der menschlichen Entwicklungsgeschichte verursacht. Vielleicht wäre es nun an der Zeit und in diesem Sinne hilfreich, diese heutigen, neu erkannten Geburtswehen nun in der Tat angemessen zu verstehen, zu unterstützen, zu mildern und abzukürzen. Der zu erwartende Lohn für die Menschheit ist gewaltig.

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Dr. Ludger Eversmann

Dr. Ludger Eversmann ist Wirtschaftsinformatiker, Philosoph, Zeitgenosse und Vater. In seinem Blog ohnefabriken.de will er zeigen, dass die entstehenden gewaltigen Möglichkeiten der Technik genutzt werden können, ganz alten Menschheitsträumen um einige bedeutende Schritte näher zu kommen.

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