Arbeitskreis Digitale Gesellschaft

SPD Schleswig-Holstein

14. Mai 2014

Datenschutz
Landtag beschließt: eCall nur ohne Ortungszwang

Kai Dolgner
Kai Dolgner

Der Landtag hat heute über eCall diskutiert. Dabei handelt es sich um ein von der EU geplantes Notrufsystem für Autos. Das System ruft bei einem Unfall automatisch den Notruf. Umstritten ist vor allem die Ortungsfunktion, bei der nicht ganz klar ist, ob sie dauerhaft eingeschaltet ist, so dass Fahrzeuge jederzeit geortet werden können. Die Fraktion der Piratenpartei hatte deswegen beantragt (Drucksache 18/1857), die Bundesregierung aufzufordern, die auf eine problemlose Möglichkeit hinzuwirken, diese Funktion abzuschalten.

Für die Fraktion der SPD sprach Kai Dolgner zu dem Tagesordnungspunkt:

„Zweifellos ist eCall geeignet, in speziellen Situationen Rettungszeiten zu verkürzen und Menschenleben zu retten. Ähnliche Systeme verschiedenen Hersteller gibt es schon seit geraumer Zeit. Und es kann gerechtfertigt sein für ein flächendeckendes, einheitliches und effektives System, bei dem die Notrufannahme staatlicherseits organisiert werden soll, den Einbau eines entsprechenden Systems bei Neuzulassungen zwangsweise vorzusehen, auch wenn dieses zweifellos zu Mehrkosten führen wird und natürlich den freien Wettbewerb einschränkt. Das alleine wird noch für reichlich Diskussionsstoff und Widerstände bei der nationalen Umsetzung führen.

Schwierig wird es allerdings, wenn dieses System Daten übermittelt, ohne dass ich die Übermittlung unterbinden kann. Seit dem berühmten Volkszählungsurteil genießt das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine entsprechend hohe Bedeutung, dass jeder über die Weitergabe und Verwendung seiner persönlichen Daten erstmal selbst bestimmen kann.

Man kann es nicht häufig genug wiederholen: Grundrechte sind Abwehrrechte gegenüber dem Staat. Für Ihre Einschränkung bedarf es sehr guter Gründe. Zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr können Grundrechte grundsätzlich eingeschränkt werden, auch wenn da natürlich die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss, wie die Urteile zur Vorratsdatenspeicherung zeigen. Aber genauso wenig wie es ein Supergrundrecht auf Sicherheit des Staates gegenüber seinen Bürgern gibt, gibt es auch kein Recht des Staates, den Bürger zur Wahrnehmung seines eigenen Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit gegen seinen Willen zu zwingen und deshalb sein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung einzuschränken.

Ich persönlich halte eCall für sinnvoll und würde es in meiner persönlichen Abwägung zwischen meinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und meinem persönlichen Überlebenswillen auch sicher benutzen. Ich werde aber dafür kämpfen, dass andere eine andere Entscheidung überhaupt treffen können.

Was ich nicht verstehen kann, ohne mich in Verschwörungstheorien zu versteigen: Was vergibt man sich eigentlich, wenn man das System ausschalten kann? Warum werden die wiederholte Aufforderung dazu sowohl von Verkehrsrechtsexperten, aber auch der Artikel-29-Gruppe der EU ignoriert? Wäre das System funktionsunfähig, wenn es ein Bruchteil nicht nutzte? Da es nur für Neuzulassungen gilt, wird vermutlich noch ein Jahrzehnt vergehen, bevor eine Mehrheit der Fahrzeuge ein solches System überhaupt installiert hat.

Nein, wer auf der Zwangsnutzung besteht, der gefährdet die Akzeptanz von eCall, da er den Geruch der staatlichen Zwangsbeglückung und gar den Verdacht staatlicher Massenüberwachung nicht los wird. Das böse Wort von der „Autowanze“ macht ja schon die Runde.

Nun werden sich einige fragen, was regt der Dolgner sich eigentlich so auf? Er würde das System selber nutzen und so viele Daten werden da ja gar nicht übertragen. Ich werde Ihnen sagen, warum. Ich wehre mich dagegen, dass mit dem Argument der eigenen Gesunderhaltung Grundrechtseingriffe begründet werden sollen. Diese Logik muss im Keim erstickt werden.

Was ist eigentlich, wenn ein implementierbarer Chip entwickelt wird, der vitale Lebensfunktionen überprüft und im Notfall selbstständig den Rettungsdienst alarmiert? Wird es dann eine Implantationspflicht geben? Zweifellos könnten so z.B. viele Infarktpatienten gerettet werden. Und bevor sie jetzt Science Fiction rufen: Den Chip gibt es bereits seit 14 Jahren! Es ist die persönliche Entscheidung, auf kürzere Rettungsfristen verzichten zu können, auch wenn man bewusst dabei gegen das eigene gesundheitliche Interesse verstößt.

Auch das Europäische Parlament sollte seine eigenen Beschlüsse ernst nehmen. Es ist schlicht wenig glaubwürdig, in einem wegweisenden Beschluss zu den Folgen der NSA-Affäre einen digitalen Habeas Corpus für alle europäischen Bürgerinnen und Bürger mit hohen Standards zu fordern und dann in der konkreten Umsetzung so schlank darüber hinwegzugehen. Aber dazu werden wir morgen ja noch kommen.

Wir werden dem Antrag der Piraten deshalb zustimmen.“

Der Antrag wurde mit den Stimmen von Piraten, SSW, Grüne, FDP und SPD beschlossen.

Steffen Voß

Mitglied des Arbeitskreises Digitale Gesellschaft der SPD Schleswig-Holstein.

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Ein Kommentar

  1. […] der gest­ri­gen eCall-​​Diskussion ist aller­dings die For­de­rung Nr. 62 nach Pro­duk­ten mit ein­ge­bau­tem Daten­schutz […]

  2. […] umfas­sen­den Daten­schutz durch­set­zen. „Befürch­tun­gen, wonach mit­tels eCall der Über­wa­chung der Auto­fah­re­rIn­nen Tür und Tor geöff­net würde, konn­ten wir durch inten­sive Bera­tun­gen aus­räu­men“, […]

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