30. Mai 2015
Journalismus
Hoffnung Netz: Lang lebe die Kontrolle!
- By: Pat David - CC BY-SA 2.0
Zygmunt Bauman, einer der bedeutendsten Soziologen der Gegenwart und Denker der „liquiden Gesellschaft„, konstatierte in einem Gespräch, dass das Internet in vielerlei Hinsicht lediglich als Verstärker der bereits vorhandenen Trends in der Gesellschaft agiert – oder solcher Trends, die sich auch ohne Internet in absehbarer Zeit in der Gesellschaft durchsetzen würden – und seinerseits diese Entwicklung fördert.
„Shitstorm“ gehört zu den Neologismen, die ihr Entstehen dem Internet verdanken und die die Dynamiken, welche in den sozialen Netzwerken entstehen können, treffend beschreiben. Duden definiert den Shitstorm als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“. Ein Shitstorm repräsentiert die Schattenseite des Internets. Als Synonym aus der Offlinewelt wählte Duden die Beschimpfung.
“We have listened to the wisdom in an old Russian maxim,“ Mr. Reagan said. “Though my pronunciation may give you difficulty, the maxim is, ‚Doveryai no proveryai,‘ ‚trust but verify.‘ “ Mr. Gorbachev interrupted, laughing. “You repeat that at every meeting,“ he said. “I like it,“ Mr. Reagan replied. („Remarks on Signing the Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty“ vom 08.12.1987)
Schutz der Herde
Thomas Meyer zeigt in seinem aktuellen Buch „Die Unbelangbaren„, wie erstaunlich ähnliche Phänomene inzwischen auch die traditionellen Medien in Deutschland dominieren – und welche Gefahr sich daraus für die Demokratie ergeben könnte.
Verkürzt gesagt: In dem Duden-Beispiel wird durch „die Fernsehreportage über die schlechte Behandlung der Angestellten“ ein Shitstorm ausgelöst; in dem Meyer-Beispiel werden durch die Fernsehreportage eine weitere Reportage, noch eine Reportage, ein Interview, ein Zeitungsartikel, ein Kommentar usw. ausgelöst. Das Gute an der Neuartigkeit des Journalismus ist, dass „die alten politisch-ideologischen Bastionen“, wie diese aus den Zeiten der Bonner Republik, gefallen sind. „An ihrer Stelle ist eine postmoderne Beweglichkeit getreten, die allerdings nicht dazu führt, dass die beteiligten Journalisten vielfältige Positionen beziehen würden“, kritisiert Meyer, „im Gegenteil: Sie alle suchen den Schutz der Herde“.
Das Ergebnis ist journalistisches Mainstreaming, womit „die weitgehend homogenisierte Berichterstattung“ gemeint ist, die Selbstgefälligkeit der Medienleute und die Inhaltsentleerung ihrer Meldungen. Jede einzeln für sich ist nicht neu – doch sie erscheinen in einer ganz neuen Qualität. „In den letzten Jahren waren es vor allem die Treibjagd auf den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff sowie der Wahlkampf 2013, die zum sonst oft vexierbildhaft verschwommenen Verhältnis von Massenmedien und Politik eine Fülle an Material geliefert haben“, so Thomas Meyer. Es sei fraglich, „ob der Journalismus in dieser Verfassung noch seinen Beitrag zur demokratischen Selbstverständigung der Gesellschaft leisten könne“, konstatiert er. Die Dimension an Demontage, welche die politischen Akteure wie der ehemalige Bundespräsident Wulff, der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück oder zur Zeit der GroKo-Verhandlungen Sigmar Gabriel durch Peer Steinbrückhren haben, zeigt: „[d]ie Alphajournalisten übernehmen gleichzeitig die Rollen von Staatsanwälten, Zeugen und Richtern. So sind sie zugleich höchst einflussreich und prinzipiell unbelangbar – eine für die Demokratie nicht sonderlich bekömmliche Mixtur“.
Journalisten mit eigener Agenda
Die Journalisten werden nun zu „Kopolitikern“. Der Wechsel von der Politik in die Medien, wie im Fall von Helmut Schmidt, oder von Medien in die Politik, wie bei Wolfgang Clement, ist heute gang und gäbe. Doch dafür, Kopolitiker zu sein oder in die politische Opposition zu treten, haben die Journalisten kein Mandat; dazu sind die Waffen zu ungleich verteilt, „solange die Medien das Monopol innehaben zu entscheiden, wer Zugang zur Öffentlichkeit haben soll und wer nicht“.
Natürlich können die Journalisten als Bürger die Politik mitgestalten. Doch in „ihrer professionellen Rolle müssen sie […] distanzierte und faire Mittler der Kommunikation zwischen den Bürgern und zwischen den Bürgern und der Politik bleiben, damit Erstere weiterhin in der Lage sind, autonom zu entscheiden“.
Könnte das Internet dabei helfen, solcherart Probleme zu lösen? Trotz vieler Hoffnung in die demokratische Durchschlagskraft des Internets ist der „kritische Online-Journalismus […] noch ein zartes Pflänzchen“. Doch das Potenzial ist da, bestätigt Thomas Meyer. „Was das Netz immerhin heute bereits bietet, ist die Gelegenheit, die sonst weitgehend unbelangbaren Journalisten der etablierten Medien zu kritisieren und zu kontrollieren.“
Hier scheint das Netz ungeahnte Potenziale zu entwickeln. „Die Kontrolle vollzieht sich durch Beteiligung, in gemeinschaftlicher Mitarbeit oder sogar warenförmig“, schreibt Frederic Gros in „Politisierung der Sicherheit„. Beispielsweise, indem die Demokratisierung dabei hilft, die Probleme der Kontrolle zu lösen. Sie manifestiert sich in Extremen: einerseits in der Selbstvermessung und Selbstüberwachung (auch „Do-it-yourself-Sklaverei“ genannt) und andererseits in der „Überwachungsmacht, die staatliche Behörden, Polizeidienststellen und Privatunternehmen ausüben“.
Überwachung? Können wir!
Gros zeigt, wie das Internet dabei half, das „wahre Fiasko“ der Überwachungskameras zu lösen. „Diese Kameras sind tatsächlich unwirtschaftlich und verhältnismäßig teuer“, konstatierte Gros. Zu den hohen Investitionen in die Technik kommen Kosten für das Personal hinzu, das die Bilder auswertet. Wird damit ein Verbrechen untersucht, reicht die Qualität der Bilder oft nicht aus. Die englische Website „Internet Eyes“ hatte daraus ein Geschäftsmodell entwickelt, bei dem die Firmen gegen einen Pauschalpreis ihre Bilder ins Netz stellten, wo sie von Internetnutzern angesehen werden, die ihre verdächtigen Beobachtungen per Knopfdruck kundtun können. „Die Leistungsstärksten verdienen Geld“, so Gros.
Das Internet ermöglicht „Transparenz durch Vergemeinschaftlichung“, meint Gros. Allerdings vollzog sie sich im Beispiel von „Internet Eyes“ nicht in Form eines „Aufrufs zur staatsbürgerlichen Kontrolle, sondern in der Vermarktung aller digitalen Kontrolldaten als potentielle Profitquellen“. Inzwischen gibt es „Internet Eyes“ nicht mehr.
„Gegen problematischen Journalismus hilft nur guter Journalismus, könnte man nun meinen“, meint Thomas Meyer. Doch damit sich der gute Journalismus durchsetzen kann, bedarf es etwas Kontrolle. Und wenn das Netz jetzt schon etwas wirklich gut kann, dann das.