12. Februar 2017
Datenschutz/Meinungsfreiheit
Meinungsfreiheit und Datenschutz auf Kollisionskurs
- Quelle: pixabay.com
„Wenn „Laien“ […] Tatsachen etwa über einen Politiker behaupten, genügen sie ihrer Sorgfaltspflicht zur Ermittlung der Wahrheit, wenn sie sich auf unwidersprochen gebliebene Berichte seriöser Quellen berufen können“ erklärt Jan Mönikes im aktuellen Kommentar „Presse- und Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter bewahren!“. Für die zahlreichen Freunde der Internetnachrichten oder Blogger bedeutet das konkret: „Einen auf Twitter geposteten Beitrag eines Nachrichtenmagazins darf man […] auch dann Re-Tweeten und somit weiterverbreiten, wenn man den Wahrheitsgehalt der Nachrichten über eine darin erwähnte Person nicht überprüfen kann.“
Dieses Recht, auf das sich sowohl Blogautoren als auch Pressesprecher großer Organisationen berufen können, wird „Laienprivileg“ genannt und geht „in mancher Hinsicht inhaltlich weiter, als die Freiheit der Presse“, so der Autor. „Im Bereich der auch unsachlichen und provokativen Meinungsäußerung steht Bürgern zudem bislang die gleiche Freiheit zu wie der Presse. In der Praxis geht die Freiheit faktisch sogar etwas weiter, da man beispielsweise Bürgerinitiativen, wie auch Politikern oder politischen Parteien und Gewerkschaften, im „öffentlichen Meinungskampf“ vor Gericht oftmals sogar noch größere Freiheiten zubilligt, als einer dem Pressekodex verpflichteten Presse.“
Das könnte sich gegebenenfalls ab Mai 2018 ändern. Ab dann gilt europaweit die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Erstens, weil der in Deutschland geltende Art. 5 GG, der bislang Meinungs- und Pressefreiheit in den Grenzen des allgemeinen Rechts gewährt, wie auch alle spezielleren Gesetze der Presse und des Rundfunks, gegenüber DSGVO nachrangig ist. Zweitens, weil DSGVO im Art. 85 Abs. 1 die Mitgliedstaaten explizit dazu auffordert, „durch Rechtsvorschriften das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß dieser Verordnung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken“, in Einklang zu bringen. Und genau das, bemängelt Jan Mönikes, ist bisher nicht geschehen.
„[K]önnten die neuen Regelungen des Datenschutzes – gewollt oder ungewollt – als Instrument der Unterdrückung von selbst zulässigen Äußerungen und des Austausches freier Meinung durch eine staatliche Behörde missbraucht werden, würde dieses nicht nur die Meinungsfreiheit beschädigen, sondern zugleich auch die Akzeptanz des Datenschutzes untergraben.“, erklärt der Jurist. Und dies ist nicht nur im Kontext der bisher oft eher unsachlich geführten Diskussion über Fakenews, Zensur von Falschmeldungen oder gar Überlegungen über Etablierung eines „Wahrheitsministeriums“ nach orwellschen Vorbild (ob nun in privater oder öffentlicher Hand), relevant. „Fällt das „Laienprivileg“ und die generelle Freiheit der Meinungsäußerung für Jedermann mangels Umsetzung durch den deutschen Gesetzgeber […] weg, ist leider zu erwarten, dass alsbald Löschbegehren selbst absolut zulässiger, aber eben kontroverser Äußerungen, allein schon wegen fehlender datenschutzrechtlicher Einwilligungen der betroffenen Personen verboten werden […].“
Doch so weit muss es nicht kommen, konzidiert Jan Mönikes. Die Lage ist nicht unüberwindbar. Es „bedarf – wie auch bezüglich aller übrigen den Datenschutz in Deutschland betreffenden Rechte und gesetzlichen Ausnahmen – […] einer gesetzgeberischen Initiative“. Das Bundeskabinett hat am 1.2.2017 zwar einen Gesetzentwurf für ein neues BDSG verabschiedet, „der jedoch ausgerechnet bezüglich der Sicherung der „Grundlage jeder Freiheit“ keine der von Art. 85 Abs. 1 DSGVO geforderten Regelungen bezüglich der Meinungs- und Pressefreiheit enthält“. Und dies sei besonders für alle nicht-journalistischen Äußerungen in elektronischen Medien problematisch, meint Jan Mönikes, „denn für sie gelten nicht die spezielleren Vorschriften der Presse und des Rundfunks, die in Zuständigkeit der Bundesländer angepasst werden könnten.“
Schon länger sei bekannt, dass die viel strikteren Regelungen des Datenschutzes in unauflösliche Widersprüche zur Meinungsfreiheit geraten können. „Während die Meinungs- und Pressefreiheit […] grundsätzlich alle Äußerungen erlaubt, die nicht ausnahmsweise verboten sind oder überwiegende Rechte von Dritten verletzen, ist die Verarbeitung von Daten grundsätzlich verboten, wenn sie nicht durch Einwilligung des Betroffenen oder durch gesetzliche Regelungen ausnahmsweise erlaubt sind.“ Von vorrangiger Anwendung eines datenschutzrechtlichen „Verbotsprinzips“ können insbesondere kontroverse oder kritische Äußerungen im Netz betroffen sein, „weil gerade ihre Verbreitung typischerweise ohne Einwilligung des Betroffenen erfolgt“. Das kann gerade solche Informationen treffen, deren Verbreitung gesellschaftlich wünschenswert wäre. Und das nicht nur im Kontext bevorstehender Bundestagswahlen.
Die Beschneidung der Äußerungsfreiheit durch Datenschutz wäre ja gerade für die Ausübung freier Meinungsäußerung im Internet fatal. Denn „fast jede öffentliche Äußerung einer natürlichen oder juristischen Person [beruht] im digitalen Zeitalter nicht nur Fragen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern stellt zugleich auch eine Verarbeitung personenbezogener Daten dar.“ Davon wäre nicht nur fast jeder Blogbeitrag, sondern auch beispielsweise eine Verlinkung des Beitrages in einer Suchmaschine, betroffen.
Ein unlösbares Dilemma? Nicht unbedingt. Wie so oft gewährleistet Prävention mehr, als sich den Problemen a posteriori zu stellen oder auf Urteile der Gerichte zu warten. Möglicherweise in Form einer gesetzlichen Initiative, wie sie von Jan Mönikes vorgeschlagen – und im Art. 85 Abs. 1 DSGVO explizit gefordert wird. Konkrete Umsetzungsvorschläge liegen offenbar bereits vor.