Der AK Vorratsdatenspeicherung hat einen Bericht zur Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung ausgewertet.
Das Ergebnis ist recht eindeutig:
"Eine heute vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung veröffentlichte Analyse der einschlägigen Tatbestände der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts offenbart nun, dass die Vorratsdatenspeicherung, solange sie in Kraft war, die Aufklärung schwerer Straftaten nicht verbesserte."
Die Analyse ist beim AK Vorratsdatenspeicherung abrufbar: Bericht über die Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung (pdf, englisch)
Die aktuelle Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung (VDS) findet im Spannungsfeld zweier Vorgaben statt: Zum Einen gibt es eine Richtlinie für eine Vorratsdatenspeicherung. Richtlinien der EU müssen in nationales Recht umgesetzt werden. Immer. In allen Mitgliedsstaaten. Zum Anderen hat das Bundesverfassungsgericht enge Grenzen für eine Umsetzung gesteckt. Ein tatsächliches Problem stellt die EU-Richtlinie dar. Richtlinien müssen von allem EU-Mitglieder binnen Frist in nationales Recht umgesetzt werden. Es gibt da kleine inhaltliche Spielräume, im Prinzip müssen sie aber umgesetzt werden. Eigentlich hätte die Richtlinie bereits bis März 2009 umgesetzt werden müssen. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, ist das nicht mehr der Fall. Werden Richtlinien nicht umgesetzt, droht ein Vertragsverletzungsverfahren, an dessen Ende eine finanzielle Strafe stehen kann.
Diese Richtlinie verschwindet nicht von alleine. Und wenn man sagt, dass ein wichtiges EU-Mitgliedsland wie Deutschland die Strafe in einem Vertragsverletzungsverfahren einfach hinnimmt, wäre das ein schlechtes Signal an andere Mitgliedsstaaten, sich auf gleiche Weise gelegentlich von missliebiger Europapolitik frei zu kaufen. Das wäre das Ende einer gemeinsamen europäischen Politik.
Es gibt Hoffnung
Die Vorratsdatenspeicherung wird zur Zeit auf europäischer Ebene evaluiert. Ein Ergebnis soll es im März 2011 geben. Wenn die Vorratsdatenspeicherung auch in 20 Mitgliedsländern umgesetzt wurde, so eckte sie doch in anderen Ländern an.
Dazu zählt vor allem der Sonderfall Irland: Irland versuchte bereits 2006 gegen die Vorratsdatenspeicherung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu klagen. Die Kläger versuchten die Richtlinie zu kippen, indem sie die Vorratsdatenspeicherung als Binnenmarktmaßnahme bezeichnete. Der EuGH hat sich darauf aber nicht eingelassen.
Nun haben wir durch den Vertrag von Lissabon und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union seit 2009, eine andere rechtliche Situation und Irland vorsucht diesmal den direkten Weg: Der EuGH soll prüfen, ob die Vorratsdatenspeicherung mit den neuen europäischen Bürgerrechten vereinbar ist. Max Steinbeis vom Verfassungsblog sieht in der Klage die Chance für eine wegweisende Entscheidung und eine Stärkung der europäischen Bürgerrechte.
Es wäre unsinnig, vor Ende der Evaluation noch eine Umsetzung in Deutschland zu versuchen. Man müsste das Gesetz – mal abgesehen von einer drohenden neuen deutschen Verfassungsbeschwerde – vermutlich kurze Zeit später wieder ändern. Es macht darüber hinaus keinen Sinn, die Evaluierung vor Entscheidung der Klage Irlands vor dem EuGH abzuschließen. Es ist auch unwahrscheinlich, dass die EU-Kommission vorher ein Vertragsverletzungsverfahren lostritt.
Die Position der Parteien im Bundestag sind zur Zeit folgende: Die CDU will die EU-Richtlinie, die die Vorratsdatenspeicherung vorschreibt 1:1 umsetzen. Die FDP sieht auch, dass das eigentlich passieren muss, dass es aber eben nicht 1:1 mit dem Grundgesetz geht – sie will die Evaluierung der Richtlinie abwarten. Die LINKE und die GRÜNEN ignorieren die EU-Richtlinie und sind gegen jegliche Form von Vorratsdatenspeicherung. Die SPD erkennt die Notwendigkeit der Umsetzung, wartet aber auf eine Gesetzesvorlage der Regierung als Diskussionsgrundlage und die Evaluierung der EU-Richtlinie, die zur Zeit durchgeführt wird.
In der Bundestagsdebatte vom 16. Dezember 2010 konnte man die derzeitigen Positionen der Parteien und einige Probleme erkennen:
Wie es weitergeht
Je nach dem, wie das EuGH entscheidet oder wie die Evaluation ausfällt, wird die VDS-Richtlinie verändert werden. In der EU gibt es eine konservative Mehrheit. Eine komplette Abschaffung erscheint unwahrscheinlich. Zur Zeit steht das Konzept des "Quick Freeze Plus" zur Debatte. Jan Moenikes, Rechtsanwalt und Mitglied des Forums Netzpolitik der SPD, bezeichnet den Vorschlag der Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als "Wolf im Schafspelz":
Das was Leutheusser-Schnarrenberger nun aber als ihre politische Lösung präsentiert, geht über meine Befürchtungen weit hinaus. Es könnte sich im Ergebnis für Bürgerrechte und Telekommunikationsindustrie als belastender erweisen, als die vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenen Vorschriften. Denn bislang offensichtlich unbemerkt auch von vielen Kritikern, soll laut dem Eckpunktepapier nicht nur die Möglichkeit einer (wenn auch zeitlich deutlich begrenzteren) anlasslosen Speicherung von IP-Adressen eröffnet werden, sondern werden zugleich auch die Möglichkeiten der auch nur auf einen abstrakten Verdacht hin bezogenen Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger ganz erheblich ausgeweitet!"
Andere Überlegungen gehen einen Schritt zurück und differenzieren die auf Vorrat gehaltenen Daten stärker als bisher. In einem Interview mit der ZEIT erklärt Alvar Freude (AK Zensur), die unterschiedlichen Datenarten: Das sind zum einen die Verbindungsdaten (Wann hatte wer welche IP?) und zum anderen sind das die Kommunikationsdaten. Diese Daten geben dann Auskunft darüber, wer wann mit wem telefoniert oder gemailt hat. Inhalte sollten bei der Vorratsdatenspeicherung nicht gespeichert werden. Die Verbindungsdaten sind dann nur so etwas wie ein Autokennzeichen – Die Polizei kann es zuordnen. Es sagt aber nichts über den Halter oder sein Fahrverhalten aus. Zumindest bei IPv4 funktioniert das noch so.
Problematisch sind dann vor allem die Kommunikationsdaten, weil sie ermöglichen komplette Persönlichkeits und Bewegungsprofile zu erstellen. Wenig kritisch sie Alvar Freude die Verbindungsdaten:
Beim Speichern von IP-Adressen auf Vorrat sehe ich keine große Gefahr. Man kann damit keine Nutzerprofile erstellen und nicht herausfinden, wer wann welche Website besucht hat. Nutzen bringen sie nur, wenn eine konkrete Straftat vorliegt und nun ermittelt werden soll, von welchem Anschluss sie begangen wurde. Da verstehe ich auch den Bedarf der Ermittler und könnte damit leben, wenn die IP-Adressen länger als sieben Tage gespeichert würden. Denn um mehr über den Nutzer zu erfahren, bräuchten sie eine konkrete Überwachungsanordnung, die sehr viel höheren Hürden unterliegt."
Vor allem muss die Diskussion von anderen Themen getrennt werden. So sagt Alvar Freude:
Es bestand immer die Hoffnung, wenn keine IP-Adressen mehr gespeichert werden, gibt es auch keine Abmahnungen beim Filesharing mehr. Aber das hat sich nicht bewahrheitet. Die Musikindustrie hat einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch und ist einfach schnell genug, im Zweifel überwachen sie es in Echtzeit. Fürs Filesharing spielen die Regeln also keine Rolle."
Die Befürchtung, dass die Verbindungsdaten vor allem gegen Filesharer genutzt werden, ist ein ganz anderes Problem. Hier muss gesellschaftlich diskutiert werden, ob und wenn ja wie sich das Urheberrecht durch das Internet ändern muss. Aber auch das muss geklärt werden.
Am Ende bleiben zwei Fragen:
- Kann man überhaupt eine Vorratsdatenspeicherung erarbeiten, die sowohl den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht als auch die EU-Richtlinie erfüllt?
- Was bedeutet es für die EU-Politik, wenn die Antwort "Nein" lautet?
Am 27. und 28. Mai hat die Innenministerkonferenz (IMK) ihre Frühjahrstagung abgehalten.
In der offiziellen Pressemitteilung nimmt der Bereich "Internetkriminalität" einen nicht unerheblichen Platz ein. Zitat:
Die IMK stellt fest, dass die vom Phänomen IuK-Kriminalität ausgehende Bedrohung derzeit eine der wesentlichen Herausforderungen im Bereich der Verbrechensbekämpfung und Prävention darstellt.
Die IMK setzt sich für eine zentrale gemeinsame Einrichtung der
Wirtschaft unter beratender Beteiligung der zuständigen Behörden ein, um
bessere Erkenntnisse über Angriffe und Datenverluste zu erhalten.
Zusätzlich soll eine Informationspflicht bei Systemangriffen und
Datenverlust gesetzlich verankert werden.
Heise berichtet, dass mit großer Mehrheit eine Initiative auf
Bundesebene beschlossen wurde, um der Polizei wieder den Zugriff auf
Telefonverbindungsdaten zu ermöglichen. Dies sei zumindest vom
baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) bestätigt
worden.
Links